Aufsätze zu einer ganzheitlichen theologie

Esther Keller-Stocker

Paulus und
die Frauen am leeren Grab

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Teil 1: Vorwort: Römer 3,24-26

1982 besuchte ich ein Seminar bei Prof. Schulz an der Theologischen Fakultät in Zürich. Das Thema war «Der Tod Jesu und dessen Interpretationen im Neuen Testament». Unter den Stellen befand sich auch Römer 3,24-26:

Gerechtfertigt werden sie umsonst durch seine Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott öffentlich hingestellt als «Sühne» im Glauben - in seinem Blute; zum Erweis seiner Gerechtigkeit um der Vergebung der vergangenen Sünden willen, durch die Geduld Gottes: Zum Erweis seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit; damit er gerecht sei und den rechtfertigt, der an Jesus glaubt (1).

Gemäss diesem doch recht unübersichtlichen Text hat Gott durch den Tod Christi «Sühne» geschaffen für die «vergangenen menschlichen Verfehlungen». Der Satz gehört zu einem judenchristlichen Hymnus, den Paulus aufgegriffen hatte, um seine Idee von der Gerechtigkeit Gottes darzulegen.

Mir fiel der Begriff «Sühne» auf: Die «Sühne» bezieht sich auf den alttestamentlichen «Sühnedeckel» in III. Mose 16 (2). Unter dem Sühnedeckel liegt die Bundeslade, deren Funktion in III. Mose 16 vollständig an den Sühnedeckel übertragen ist und demnach für das menschliche Bewusstsein keine Funktion mehr hat.

Die Archetypen

Da ich mit der christlichen Theologie, wie sie an den Universitäten gelehrt wurde und wohl immer noch gelehrt wird, nicht zurechtkam, setzte ich mich in jener Zeit mit der Psychologie von C. G. Jung auseinander. C. G. Jung geht von einem kollektiven Un-Bewussten aus, die wir in zwei Archetypen erfahren können, im Archetyp des Grossen Vaters und im Archetyp der Grossen Mutter. Dabei kommt es auf das jeweilige menschliche Bewusstsein an, wie der jeweilige Archetyp gewertet wird. Dieses System ist meines Erachtens eine adäquate Antwort auf die einseitig patriarchal-christliche Theologie, die auch heute noch gängig ist. - Beim Auseinandersetzen mit den Schriften von C. G. Jung, vorab mit seinem Buch «Symbole der Wandlung» war ich jedoch erstaunt, wie er - wie die Theologen - die patriarchale Norm unserer Gesellschaft verteidigt (3).

Genaueres über die «Grosse Mutter» erfuhr ich im Buch «die Grosse Mutter» von Erich Neumann, einem Anhänger von C. G. Jung: Zum primären Charakter der Grossen Mutter gehört der Symbolkreis zu Geburt und Tod. Die Symbole erscheinen in Träumen, Fantasien und in der Kunst. Die Symbole, die Gegenstände mit Hohlräumen widergeben, repräsentieren diesen Elementarcharakter, dazu gehören Schiff, Haus, Sarg, Lade etc. Zum Symbolkreis der Grossen Mutter gehört auch Land, Stadt, See, Meer. Letztlich ist die ganze Welt eine Projektion des inneren Seelenbildes der Grossen Mutter, deren symbolische Universalformel Erich Neumann zusammenfasst in:

 

Weib = Körper = Gefäss = Welt (4)

die Grosse Mutter als Welt

Bhavani-Trimurti-Mutter, Indien, 19. Jh. oder früher
aus Erich Neumann, «die Grosse Mutter»

Ein wichtiger Teil der jungschen Psychologie ist „der Schatten». Er beinhaltet unbewusste Anteile, die zum menschlichen Bewusstsein gehören. Darunter zählen auch verdrängte Inhalte, die in der ideologischen Wertung des mentalen Bewusstseins keinen Platz haben. In unserem Text Römer 3,24-26 gehört die Bundeslade unter der Sühneplatte zum verdrängten Material. Denn hier verschwindet die Lade ganz aus dem Bewusstsein.

Das patriarchal-mentale Bewusstsein

Wie ist aber diese Aversion gegen die Grosse Mutter zu erklären? - Jean Gebser schrieb - unabhängig von C. G. Jung - ein Buch über die Mutationen des menschlichen Bewusstseins. Nach ihm hat der Mensch während der Evolution verschiedene Bewusstseinsstadien durchlaufen: das archaische, magische, mythische und mentale Bewusstsein. Anhand griechischer Mythologie zeigt Jean Gebser, wie der Übergang vom matriarchal-mythischen zum patriarchal-mentalen Bewusstsein von statten ging (4): Da befreite sich der MANN, GOTT im gerichteten Zorn von der ewigen Umarmung der Grossen Mutter. Dieser Prozess hatte seinen Höhepunkt jedoch nicht nur in der griechischen Kultur sondern auch im Alten Testament. So heisst es hier etwa:

Ich bin Jahwe und keiner sonst,
ausser mir gibt es keinen Gott. (Jes. 45,5a)

Das ist eine zornige Aussage eines alleinigen Gottes, der die anderen Göttern, vor allem aber Göttinnen, hinter sich lässt – zumindest im Bewusstsein des patriarchal-mentalen Menschen.

Römer 3,24f. ist das Ergebnis dieses Ringens. Denn hier wird Jesus Christus abstrakt als "Sühne" gedacht, also nicht mehr als Sühnedeckel, der die Bundeslade zudeckt und damit zum Verschwinden bringt, sondern will nur noch «abstrakt» bewertet werden. Und «abstrakt» heisst im Klartext: Die Sühne vollzieht sich "gereinigt von allem Weiblichen". - Nur, im mental-patriarchalen Bewusstsein ist die «Lade» als Symbol der Grossen Mutter zwar weg, aber der Archetyp harrt weiterhin im kollektiven Unbewussten.

Das Patriarchat dauert nun schon seit mehreren tausend Jahren. Und es ist zu hoffen, dass wir am Ende davon stehen. Denn, wie Alfred Adler und Horst E. Richter gezeigt haben (6), wirkt in dieser Zeit der patriarchale Gott auf den Menschen als numinoses Über-Ich. Und die Folgen sind verheerend: Erderwärmung, Luftverschmutzung, Zerstörung von Lebensräumen und Artenvielfalt, Vernichtung von Urwäldern, Meeresströme, die x-tausend Tonnen Plastik in die entlegensten Orten transportieren etc. – Eine ungeheure Vernichtung auf derpfeilOben Grundlage des männlichen Schöpfers, der sich im Menschen inkarniert, so das wir die Welt nach unseren Vorstellungen erschaffen und zerstören (7).

 

Text und Gestaltung: Esther Keller-Stocker
17.02.2019 - EMAIL

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