Aufsätze zu einer ganzheitlichen Theologie

von Esther Keller-Stocker

Der Töpfer

Der Prophet Jeremia erzählt in dieser Metapher vom Töpfer sein Verhältnis von Jahwe und Israel. Jahwe ist in Gestalt eines Töpfers dargestellt, der nach Gutdünken seine Werke gestaltet. Zufällig kann auch ein Topf in die Brüche gehen. Und da fangen die Widersprüche an:

Vom Töpfer wird gesagt, dass ihm versehentlich das Töpfergeschirr misslingt. Dabei wird betont, wie das so geht mit dem Ton in der Hand. Und das ist der Grund, weshalb der Töpfer ein neues Gefäss herstellt. Das Interesse des Spruches Jahwes liegt aber in der Absicht und seinem Willen, sein Volk Israel zu zerstören und zu vernichten. Erst im zweiten Schritt wird der Grund seines Handelns erklärt, die Bosheit des Volkes. In der jetzigen Konstellation hinkt dieser Grund hinter dem göttlichen Vernichtungswillen hinterher, als ob sich der Autor nachträglich noch eine Erklärung für das göttliche Verhalten geben müsste.

Statt darauf hinzuweisen, dass dem göttlichen Töpfer Jahwe das Werk, sein Volk Israel, misslungen ist, tritt das Volk als eigenständige Grösse vor Jahwe. Im Gegensatz zum leblosen Ton agiert Israel Jahwe gegenüber sehr selbstbewusst. Israel entscheidet selber, ob es sich zu Jahwe zuwenden will.

In Jeremia Kapitel 9 spricht der Prophet von der Ankündigung der Guttaten Jahwe und zwar unter der Bedingung, dass das Volk nicht Böses tut und seiner Stimme gehorcht. Hier setzt Jahwe voraus, dass Israel entscheiden kann und somit keine leblose Masse ist.

 Als nächstes sucht Jahwe die Richtigkeit seines Handelns bei Zeugen bestätigen zu lassen: "Fraget doch bei den Völkern, wer solches gehört hat!" - Die Völker, die sonst Jahwe nicht kennen, sollen plötzlich als Zeugen auftreten?

Doch was haben Ton und Volk gemeinsam? Beide, Ton und Volk vertreten symbolisch Aspekte des weiblichen Archetyps, während Jahwe in seiner Position als Mann und Töpfer den Grossen Vater vertritt. Ursprünglich geht die Metapher davon aus, dass der Töpfer leblose Materie bearbeitet. Dies entspricht dem Willen Jahwes, eigentlich soll sein Volk Israel eine leblose Masse sein, die er nach seinem Gutdünken formen und zerstören kann. Doch diesem Ansinnen tritt Israel selbstbewusst entgegen. Statt wie der willenlose Ton geht Israel seine eigene Wege und opfert "nichtigen" Göttern - "Nichtige" Götter" in den Augen Jahwes. Um diesem Volk Herr zu werden, braucht Jahwe nun Gewalt! Das ist ja die einzige Kulturleistung, die er beherrscht!

Seinem  Willen zur Zerstörung entspringt aber auch der Angst vor der Eigendynamik des Volkes als Symbol der Grossen Mutter. Letztlich geht es um das Ringen der Ureltern, welches hier aus der Optik des Grossen Vaters dargestellt wird. Wenn die Gewalt des Grossen Vaters nicht nur Drohung ist sondern Wirklichkeit, dann existiert auch der Grosse Vater nicht mehr.

Wie soll man dies vorstellen? Wie ich bereits im Kapitel Bewusstseinsstrukturen gezeigt haben, fallen im Unbewussten alle Symbole zusammen, sie sind raum- und zeitlos. Der Ursprung der Symbole ist sich widerstrebende Energie, die sich in diesen Symbolen verbildlichen und sich zugänglich gemacht werden. Die Symbole sind Bilder, die in  Jahrmillionen von äusseren Gegebenheiten in die Seele gestanzt worden sind. Zum Beispiel die Sonne: Die Sonne war bevor es irgend ein Lebewesen auf der Erden gab. Sie war schon immer da und hat sich entsprechend tief in der Seele verankert. Ein anderes Beispiel sind Eltern: Spätestens seit es Säugetiere gibt, gibt es Eltern, gibt es männlich und weiblich, Sohn, Tochter, Grossmutter, Grossvater etc. Was seit Jahrmillion aussen gegeben ist, werden zu Seelenbilder. Für unsere Wahrnehmung sind diese Seelenbilder genau so wichtig, wie die Wahrnehmung der Aussenwelt, weil wir ständig Seelenbilder und deren Wertung nach aussen projizieren.

 In der Psychologie von C. G. Jung wurde vor allem die Symbole der Grossen Mutter zusammengetragen und interpretiert, am ausführlichsten von Erich Neumann in seinem Buch "Die Grosse Mutter". Warum die Symbole der Grossen Mutter? Ganz einfach, es waren Männer, die etwas über ihre unbewusste weibliche Seelenhälfte erfahren wollten. Dabei klammert sowohl C. G. Jung als auch Erich Neumann die Bibel gefliessentlich aus. Weshalb wohl? Weil sie da auf den männlichen Schatten treffen, auf das numinose Über-Ich, das unsere Gesellschaft immer noch prägt.

Die Konstellation, die der Prophet Jeremia hier aufzeigt, kann man gut auch auf unsere Zeit übertragen. Zum Beispiel auf die Atomkraftwerke angewendet werden. Diese wurden im Geiste des Machbaren, einem wesentlichen Aspekt des Grossen Vaters gebaut. Vor Jahren hiess es, nur alle paar Jahrtausenden passiere etwas, doch die Unfälle häufen sich in unseren Tagen. Und bei uns in Europa tut man so, als ob dies ja nur in Russland oder Japan passiert. Aber Russland und Japan sind auf dem gleichen Planeten wir wir. Und die Ausstiegsbestrebungen im Volk und in der Politik zeigen, diese Anlagen werden uns alle zerstören.

Jahwe wirft dem Volke Israel auch vor, auf den vorzeitlichen Pfaden zu straucheln (V. 15). Aber was sind die vorzeitlichen Pfaden? Ich denke an die kosmische Ordnung der Grossen Mutter, wie sie im Alten Testament in der Chokmah, die Weisheit, zum Ausdruck kommt. Chokmah ist in Ägypten die Göttin Maat. Maat füttert und tränkt den ägyptischen Pharao noch mit ihrer Ordnung wie eine Mutter ihr Kind. In den mesopotamischen Texten gehörte die Sexualität und Gewalt zur kosmischen Ordnung (1), Es sind die Riten an die nichtigen Götter. Im Alten Orient wurden im Volk vor allem Göttinnen wie Isthar, Aschera und Anat geehrt (2). Mit nichtigen Göttern sind auch diese gemeint.

Hier tut sich der archetypische Widerstreit auf, in dem sich Jahwe das ganze Alte Testament hindurch befindet: Er sucht sich von der Grossen Mutter abzunabeln und andererseits muss er sich seine Liebe zu ihr eingestehen. Doch diese Liebe gilt der Grossen Mutter in Gestalt eines konkreten Volkes, welches sich Jahwe völlig unterwerfen soll. Jede Abwendung von ihm verursacht in ihm Angst, Angst verlassen zu werden und darauf reagiert er mit äusserster Aggression: "Tut es aber, was in meinen Augen böse ist, dass es meiner Stimme nicht gehorcht, dann lasse ich mich des Guten gereuen, das ich ihm zu tun verheissen hatte" (V. 10). Zum Gehorsam seitens des Volkes gehört auch die Befolgung göttlicher Gebote. Doch dieses Gesetz wird mit der Weisheit gleichgesetzt (Sprüche 8,22-31), die Erstgeschaffene Jahwes, jedenfalls nach seinem Anspruch. Denn unterdessen haben ExegetInnen herausgefunden, dass dieser Text ursprünglich nur von der Weisheit handelte und erst sekundär mit Jahwe verbunden wurde. Die alttestamentliche Weisheit vertrat ursprünglich nicht die konkreten Gesetze sondern wie die altägyptische Göttin Maat die Kosmosordnung schlechthin, die Jahwe aber nur akzeptieren kann, wenn sie sich als die von ihm Erschaffene unterwarf.

Die Kosmosordnung als numinose Grösse vertritt aber nicht nur positive Werte sondern auch negative. Und da stellt sich doch die Frage, ob die Konstellation des ungehorsamen Volkes und der zürnende Gott nicht ein Aspekt dieser Kosmosordnung ist, die zwei sich widerstrebenden Archetypen. Gnade und Zorn, Gehorsam und Ungehorsam ambivalente Grössen: Denn häufig gereicht die Gnade Gottes an seinem Volk, den umliegenden Völkern zu Ungnade und umgekehrt.

Heute ist sind wir nachweislich an Grenzen gestossen. Doch statt den Ursprung dieser Grenzen in unserer patriarchaler Kultur mit seinem archetypischen Hintergrund zu sehen, nämlich in der Dominanz des Grossen Vaters, wird die Ursache in der sich rächenden Mutter gesucht. Und so sehen Theologen und Theologinnen im Banne von Erich Neumanns Buch "die Grosse Mutter" die neuesten Umweltkatastrophen als Ausdruck der verschlingenden Mutter. In diesem Sinne zitiert Elisabeth Moltmann-Wendel (3):

"Doch genügt solche Genugtuung noch? Ein Theologe und Geologe warnt heute, dass sich die Anzeichen einer Antwort in Form massiver Vergeltung mehren. Die Erde, so sehen es jetzt schon aufmerksame Menschen, ist nicht passiv und stumm. Sie ist lebendig und protestiert. Die Erde ist nicht tot, erklärte die koreanische Theologin Chung Hyun Kyung der Weltkirchenversammlung in Canberra 1991: Sie lebt und ist erfüllt vom schöpferischer Energie. Die Erde ist ein von Gott behauchter und von Gott durchtränkter Ort. Die Menschen haben die Erde lange Zeit ausgebeutet und vergewaltigt, jetzt beginnt die Natur und die Erde sich an uns zu rächen. Sie verweigern uns sauberes Wasser, saubere Luft und andere Nahrungsmittel, weil wir uns so schwer an ihnen versündigt haben".

Die Rache der Mutter? Ich sehe das anders - Wer will das Land verwüsten, unbewohnbar machen in seinen Rache- und Zornesausbrüchen? Jahwe, unser Gott! Und wer steht unter seinem Gesetz oder versucht es wenigstens ü Unsere Welt: Wir unter der Dominanz des Grossen Vaters zerstören die Welt. Wir unter der Dominanz des Grossen Vaters geben der Mutter im Sinnbild der Erde keinen Raum mehr Ich hab gesehen, wie der kürzlich übers Land gebrauste Orkan Lothar die Bäume in unserer Umgebung umlegte samt ihrer Wurzeln, denn sie waren zu wenig tief in der Erde eingedrungen, um genug Halt zu haben! Und es ist doch der Grosse Vater, welcher seit mehr als fünftausend Jahre den Kontakt mit der Grossen Mutter verweigert, sie aber auch, um die eigenen Bedürfnisse nach Wohlstand, Reichtum, Macht unterwirft.

Fackel

Letzte Revision: 14.04.2012