Paulus und
die Frauen am leeren Grab
Teil 3: Die Nachfolge der Frauen
Mk. 15,40-47
Einige Frauen aus der Jüngerschar Jesu haben seine Kreuzigung aus der Ferne beobachtet (Mk. 15,40). Dass sie aus der Ferne zuschauten wird unterschiedlich interpretiert. Die einen meinen, es gehe hier um die Pietät vor Jesus, der da nackt in der Agonie hing; andere, dass es gefährlich war, als Sympathisant des Verurteilten anwesend zu sein (29), denn sie riskierten dasselbe Schicksal. Denn die Römer hatten keine Hemmungen, auch Frauen und Kindern zu foltern und zu kreuzigen wie Flavius Josephus am Beispiel des römischen Prokurator Gessius Florus in Jerusalem (66 n. Chr.) zeigt:
Eine Menge friedliebender Bürger wurden festgenommen und zu Florus geschleppt, der sie schmählich geisseln und dann kreuzigen liess. Die Gesamtzahl der an diesem einen Tage Umgekommenen einschliesslich der Frauen und Kinder – denn nicht einmal die Unmündigen wurden verschont – belief sich auf etwa dreitausendsechshundert. (Bell. II.14.306-308)
Von den Frauen, die von weitem zusahen, wie Jesus am Kreuze verstarb, heisst es in Mk. 15,41 weiter:
....., die ihm gefolgt waren und ihn unterstützt hatten, als er in Galiläa war, und noch viele andere Frauen, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren.
αἳ ὅτε ἦν ἐν τῇ Γαλιλαίᾳ ἠκολούθουν αὐτῷ καὶ διηκόνουν αὐτῷ, καὶ ἄλλαι πολλαὶ αἱ συναναβᾶσαι αὐτῷ εἰς Ἱεροσόλυμα.
Sybille Kalmbach in Evangelisches Jugendwerk Leonberg
Ἀκολοuθέω „folgen, nachfolgen“ steht in den Evangelien vornehmlich als Terminus technicus für die Jüngernachfolge. Gerhard Schneider (30) betont aber:
Die „Nachfolge“ der Volksmenge und der Frauen ist aber nicht eigentliche Jesusnachfolge (Spalte 122f.).
Anderer Meinung ist Helen Schüngel-Straumann. Sie schreibt:
Nachfolge ist hier terminus technicus für die Jüngerinnen und Jünger (31).
Die Nachfolge der Frauen wird im Markustext noch unterstrichen durch «sie dienten ihm» (Mk 15,41), ebenfalls ein typisches Wort der Nachfolge. Dazu schreibt Silke Petersen:
Die Nachfolge ist also eine länger andauernde Handlung schon in Galiläa, die sich nur auf die namentlich gekennzeichneten Frauen bezieht. Zusätzlich werden noch weitere Frauen («viele andere») erwähnt, die Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem begleitet haben, von denen wir aber nicht wissen, ob sie schon zuvor in Galiläa mit ihm umhergezogen sind (32).
Die beiden Frauen Maria Magdalena und Maria die Mutter [des Jakobus und] des Joses sahen auch, wo Joseph von Arimathäa den toten Jesus hingelegt hatte (Mk. 15,47), sodass sie am Ostermorgen genau wussten, wo sie hingehen mussten, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen.
Mk. 16,1-8
An Ostermorgen traten Maria von Magdala, Maria der Mutter des Jakobus [ und des Joses] und Salome an das leere Grab in der Höhle und sahen sie einen weiss gekleideten Jüngling.
Und sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem langen, weissen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. (Mk. 16,5)
Καὶ εἰσελθοῦσαι εἰς τὸ μνημεῖον εἶδον νεανίσκον καθήμενον ἐν τοῖς δεξιοῖς περιβεβλημένον στολὴν λευκήν, καὶ ἐξεθαμβήθησαν.
Εἶδον von Ὁράω «sehen» im Aorist ist eine einmalige aktive Handlung in der Vergangenheit. Es ist dasselbe Verb, wie in der Glaubensformel, die Paulus in I. Kor. 15,5-7 verwendet, bei Paulus aber als ὤφθη (Aorist Medio passiv) «er liess sich sehen», «er erschien» (33).
Nach dem Markusevangelium haben die Frauen einen weiss gekleideten Jüngling gesehen, der ihnen den Auftrag gegeben haben soll:
Er aber sagt zu ihnen: Erschreckt nicht! (2. Pers. Pl.) Jesus sucht ihr, den Nazarener, den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier. Das ist die Stelle, wo sie ihn hingelegt haben. Doch geht (2. Pers. Pl.), sagt seinen Jüngern und dem Petrus, dass er euch (2. Pers. Pl.) vorausgeht nach Galiläa. Dort werdet ihr (2. Pers. Pl.) ihn sehen, wie er euch gesagt hat. (Mk. 16,6-7)
Der weiss gekleidete Jünglinge spricht die Frauen direkt in 2. Person Plural an:
- «Fürchtet euch nicht!» (μὴ ἐκθαμβεῖσθε)
- «Jesus sucht ihr?» (Ἰησοῦν ζητεῖτε)
- «Sagt zu seinen Jüngern und zu Petrus»
(ὑπάγετε εἴπατε τοῖς μαθηταῖς) - «dass er Euch vorausgeht nach Galiläa»
(προάγει ὑμᾶς εἰς τὴν Γαλιλαίαν) - «Dort werdet ihr ihn sehen» (καθὼς εἶπεν ὑμῖν)
Der Jüngling gibt den Frauen den Auftrag, sich nicht zu fürchten und Jesus nicht hier zu suchen sondern nach Galiläa zu gehen, wo sie ihn sehen werden. Dazwischen steht der Auftrag, zu den Jüngern zu gehen. - Es ist auch so ein unerwarteter Einschub wie «Missgeburt» in I. Kor. 15,8. Aber diesmal geht es darum, dass die Jünger und speziell Petrus sekundär als Autoritätspersonen eingeschoben werden. Einige Exegeten gehen davon aus, dass die Frauen den Auferstandenen selber gesehen haben. So schreibt Pierre Benoit etwa (34):
Ausserdem spricht das Faktum einer Erscheinung Jesu zuerst vor Frauen in mancher Hinsicht für sich. Denn der Vorrang der Apostel wurde dadurch in gewisser Weise angetastet, und die Urgemeinde hätte sicher eher dazu tendiert, es zu unterdrücken als es zu erfinden .
Denn ursprünglich existierte in der Grabesgeschichte keinerlei Hinweise auf die Jünger (35). Dazu schreibt Joachim Gnilka (36):
Wenn ihnen als Frauen die Zeugenrolle zugeschrieben wird, erhöht das Glaubwürdigkeit.
Bei der direkten Rede an die Frauen nimmt Wilfried Eckey (37) an, dass der Auftrag direkt an die Leser des Evangeliums gerichtet ist: sie sollen das Evangelium nun wieder von vorne lesen, als alles begann – als Jesus von Galiläa her zu Johannes zur Taufe kommt. Demnach ist der Auftrag, so wie er dasteht, eine Interpretation des Markus.
Als Reaktion auf den Auftrag des weiss gekleideten Jünglings flohen die Frauen aus der Grabeshöhle und sagten niemandem etwas, weil sie sich fürchteten.
Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich (V. 8)
aus wikimedia: Julius Schnorr von Carolsfeld, «Die Bibel in Bildern», 1860
Auf das Fürchten der Frauen fallen einige Theologen so richtig hämisch her! Doch «Gott schauen» flösst immer Furcht ein, macht sprachlos (38) – das ist so! - Auch Lukas erzählt in seinem Evangelium eine Engelsgeschichte, bei dem es einem Priester die Sprache verschlug: Als nämlich Zacharias, der Vater des Johannes im Jerusalemer Tempel opferte, erschien ihm der Engel Gabriel, der ihm den Sohn Johannes verhiess. Die jüdische Bevölkerung wartete unterdessen voll Ungeduld vor dem Tempel. Als nach langer Zeit Zacharias aus dem Tempel trat:
Als er aber heraustrat, konnte er nicht mit ihnen reden. Und sie merkten, dass er im Tempel eine Erscheinung gehabt hatte. Er gab ihnen nur Zeichen und blieb stumm (Lk. 1,22f.).
Der Priester Zacharias blieb stumm, obwohl die Erscheinung im Tempel von Jerusalem stattfand, wo man doch stets mit solchen Erscheinungen rechnen müsste.
Auch die Jünger waren voll Zittern und Entsetzen, wenn ihnen der Auferstandene erschien: Als der Auferstandene den Jüngern in Jerusalem erschien und in ihre Mitte trat (39):
Da gerieten sie in Angst und Schrecken und meinten, einen Geist zu sehen (Lk. 24,37).
Paulus fürchtete sich hingegen nie und die Sprache hat er nie verloren. Im Gegenteil, wortreich ist er bemüht, immer wieder seine eigene göttliche Legitimation zu belegen. - Dies gilt auch für alle Theologen, die für die Frauen am Grab nur Häme parat haben!
Und wie sieht das Verhalten der Jünger Jesu aus? Nach der Festnahme Jesu sind sie geflohen voll Furcht und Zittern vor der römischen Soldaten und vor dem Grauen des Kreuzestod und dies trotz ihrem vorherigen grossmauligen Auftretens wie bekanntlich Petrus:
Petrus sagte zu ihm: Und wenn alle zu Fall kommen - ich nicht! Und Jesus sagt zu ihm: Amen, ich sage dir: Noch heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnet haben. Er aber ereiferte sich nur noch mehr: Selbst wenn ich mit dir sterben müsste - ich werde dich nicht verleugnen. Und so redeten sie alle. (Mk 14,29-31; vgl. Mk. 10,37).
Und prompt verriet ihn Petrus und leugnet, Jesus zu kennen (Mk. 14,66-72). Demgegenüber waren die Frauen stets loyal. Hier in der Höhle waren sie auch die Allerersten, die überhaupt von einer Auferstehung hörten. Sie hatten hier gar keine Zeit, sich zu besinnen, wie dies «gemäss der Schrift» zu interpretieren sei. Dazu fehlte ihnen die Zeit und die Ausbildung eines Startheologen (40). Auch die Jünger Jesu waren einfache und ungebildete Leute:
Sie sahen (Hohe Rat in Jerusalem) aber den Freimut des Petrus und Johannes und wunderten sich; denn sie merkten, dass sie ungelehrte und einfache Leute waren (Apg. 3,13).
Doch der Tenor der männlichen Fachwelt ist: Die Frauen am Grab haben nichts verstanden – aber auch gar nichts! (41) – Ja, diesen Satz kenne ich! – So reagieren Männer häufig, wenn sie sich durchsetzen wollen. Und Ulrich Wilckens säuselt:
Nun, der Grund liegt offenbar darin, dass Markus nicht die Frauen, sondern die Jünger als die ersten Auferstehungszeugen herausstellen möchte. Und dies wiederum hängt, wie wir bereits gesehen haben, aufs engste mit der Überlieferung von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern zusammen, die Markus 16,7 in den Erzählungszusammenhang der Grabesgeschichte eingebracht hat: Erst in der Erscheinung beauftragt und bevollmächtigt der Auferstandene sie zur Verkündigung. So deutet Markus am Schluss seines Buches an, wo die Erkenntnis, wer Jesus in Wahrheit sei, ihren legitimen Ursprung habe: nicht im Munde der Frauen sondern in dem der Jünger.
Also erst Markus will, dass nicht die Frauen die Zeugen des Auferstandenen sind sondern die Jünger. Diese Schlussfolgerung übernimmt Ulrich Wilckens auch gleich als historischer Beleg für die Vorrangigkeit der Jünger. Denn nur die Jünger konnten begreifen, dass Jesus auferstanden ist.
Die Frauen haben in ihrer Furcht die Botschaft des Engels nicht verstanden; so blieb die grosse Kunde noch verborgen. Erst durch die Erscheinung des Auferstandenen selbst ist sie offenbar geworden, und seine Jünger, Petrus an ihrer Spitze, sind es gewesen, die sie zuerst verkündigt haben! (S. 53).
Den Frauen wird nichts anderes aufgetragen, als die Botschaft den Jüngern weiterzugeben. Sie empfangen keinerlei besondere Offenbarung. Das ist erst in den späteren Evangelienschriften aus gnostisch-häretischen Kreisen der Fall. Dort erst wird die in der biblischen Überlieferung deutlich gewahrte Unterscheidung zwischen den Frauen und den Jüngern aufgehoben, und die Frauen werden sogar zu bevorzugten Empfängerinnen himmlischer Geheimnisse (S. 68).
Also erst späte häretische Kreise (aus dem 2. Jahrhundert) sollen die Frauen eingefügt haben! – in allen Evangelien.
Also erst späte häretische Kreise (aus dem 2. Jahrhundert) sollen die Frauen eingefügt haben! – in allen Evangelien? – Hier geht es um die Vorrang- und Machtposition dieser Professoren unter dem riesigen Deckmantel «Wissenschaft».
Neuerdings sieht man im «Schweigen der Frauen» (42) ein anderes Problem: Nach heutigem Konsens erschien das Markus-Evangelium Chr. 70 n. Chr. In dieser Zeit wütete in Jerusalem ein unbarmherziger Krieg zwischen Juden und Römer. Im Frühling des Jahres kreuzigten die Römer 500 (sprich: fünfhundert) oder mehr Juden – pro Tag! Als Augenzeuge schreibt der jüdische Historiker Flavius Josephus:
Die Soldaten aber trieben voller Wut und Hass ihren Spott mit den Gefangenen, indem sie jeden in einer anderen Stellung ans Kreuz nagelten, und bald fehlte es an Platz für die Kreuze und an Kreuzen für die Leiber, so viele waren es (Bell 5,451).
Für die Christen waren die Ereignisse in Jerusalem eine Bewährungsprobe ihres Glaubens. Nach Andreas Bedenbender hat der Evangelist Markus das aktuelle Kriegsgeschehen in die Geschichte Jesu hineinerzählt. Denn er musste eine Antwort finden zum einzelnen Auferstandenen gegenüber den Leichenberge in Jerusalem:
warum ihm (Markus) inmitten von Leichenbergen der Osterjubel über die Auferstehung eines einzigen nicht über die Lippen will (S. 35).
Und Monika Fander (43) schreibt:
Und welchen Sinn macht die Rede von der Auferstehung eines Einzelnen angesichts der Leichenberge von Jerusalem? Der erste Jüdische Krieg (66-70 n. Chr.) löst bei der markinischen Gemeinde nicht nur die Frage nach der Abwesenheit Gottes aus, sondern verursacht auch eine innerchristliche Krise: Was ist der Sinn einer Verkündigung von Kreuz und Auferstehung vor diesem Hintergrund? Oder wird diese Rede angesichts Jerusalems als eines einzigen Gräberfeldes ad absurdum geführt? Diese ungewöhnliche These kommt aus den Kreisen des Jüdischen Lehrhauses in Berlin und wurde von Andreas Bedenbender in der Zeitschrift Texte und Kontexte ausführlich vorgestellt (S. 118).
Und so konnte Markus im Angesicht des Mordens in Jerusalem nicht mehr wie Paulus triumphierend rufen: „Tod, wo ist Dein Sieg? Tod, wo ist Dein Stachel? (1. Kor. 15,55) (S. 133).
Maria Magdalena
In allen Evangelien ist Maria von Magdala die erste, die den Auferstandenen sah. Die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena wie es Johannes in seinem Evangelium erzählt, dürfte das Ereignis am authentischsten widergegeben (44). Seine Quelle geht noch hinter die vom Markusevangelium zurück. Nach Johannes sucht die weinende Maria Magdalena den toten Jesus. Er erschien ihr und fragte:
Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe (Joh. 20,15-18).
Zum Gespräch zwischen dem auferstandenen Jesus und Maria Magdalena schreibt Charles H. Dodd (45):
die vorliegende Form ist zweifellos eine Komposition des Evangelisten Johannes. Damit hat er nichts anderes getan als die anderen Evangelisten auch, die sich die Freiheit nahmen, das Schlusswort des Herrn zu erweitern und zu entfalten, um damit eine wichtige Zusammenfassung dessen zu verbinden, was ER mit seiner Kirche vorhatte. Sie sind dem Ethos der Volkstradition ziemlich fremd, denn zu ihr gehört eine gewisse Naivität. - Hier findet sich nichts Naives, vielmehr eine reflektierte, subtile, höchst feinfühlige Annährung an die Tiefen menschlicher Erfahrung (S. 310).
Die Erzählung besitzt «eine packende Individualität»:
die Geschichte kam auf höchst eigentümlichem Weg direkt von der Quelle, und der Erzähler stand dieser nah genug, um die Nuancen des ursprünglichen Erlebnisses zu erfassen. …. Ich muss gestehen, dass ich mich auf die Dauer des Gefühls nicht erwehren kann (es kann mehr als ein Gefühl sein), dass diese Perikope auf undefinierbare Weise etwas wie aus erster Hand an sich hat. Sie steht jedenfalls für sich. In den Evangelien gibt es nichts Vergleichbares. Gibt es irgendetwas Vergleichbares in der gesamten antiken Literatur? (S. 311).
Und Siegfried Schulz schreibt in seinem Buch „Evangelium nach Johannes“:
Der erste, der nach Johannes das „Ich habe den Herrn gesehen ausspricht, war eine Frau! Für jüdische Ohren ist das nicht nur unerhört, sondern schlechthin unmöglich, da das Zeugnis einer Frau nach jüdischen Rechtsbestimmungen nicht gültig war, und sogar dem von Kindern und Schwachsinnigen gleichgestellt wurde. Hier aber – und das ist echt christliches Erbe – ist eine Frau der erste Auferstehungszeuge Jesu (46).
Das Bild von Beato Angelico «die Auferstehung» schafft Klarheit: der Auferstandene ist die Idee der Maria Magdalena.
Beato Angelico, «die Auferstehung»
Die männlichen Zeugen des Auferstandenen
Wie sehr die männlichen Jünger Mühe hatten, die Botschaft der Frauen anzunehmen, zeigt sich in den Evangelien nach Lukas und Johannes: Nach Lukas 24 glaubten die Männer den Frauen nicht:
Es waren dies Maria aus Magdala und Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus, und die anderen Frauen, die mit ihnen waren. Sie sagten es den Aposteln; denen aber erschienen diese Worte 'wie leeres Geschwätz', und sie glaubten ihnen nicht. (Lk. 24,11)
Oder im Johannesevangelium wird betont:
Denn noch hatten sie (die Jünger) die Schrift, dass er von den Toten auferstehen müsse, nicht verstanden (Joh. 20,9).
Oder beim Gang nach Emmaus sagten die zwei Männer zum Auferstandenen:
Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde; doch jetzt ist es schon drei Tage her, seit dies geschehen ist. Doch dann haben uns einige Frauen, die zu uns gehören, in Schrecken versetzt. Sie waren frühmorgens am Grab, und als sie den Leib nicht fanden, kamen sie und sagten, sie hätten gar eine Erscheinung von Engeln gehabt, die gesagt hätten, er lebe. Da gingen einige der Unsrigen zum Grab und fanden es so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn aber haben sie nicht gesehen. (Lk. 24,21-24).
Hier sind es die Frauen am Grab, die mit ihrer Nachricht die Jünger in Schrecken versetzten. Darauf erläuterte der Auferstandene den Emmaus-Jünger:
Da sagte er zu ihnen: Wie unverständig seid ihr doch und trägen Herzens! Dass ihr nicht glaubt nach allem, was die Propheten gesagt haben! Musste der Gesalbte nicht solches erleiden und so in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften über ihn steht. (Lk. 24,25-27).
Die Perikope der Emmäus-Jünger ist ein schönes Beispiel über den Prozess der theologischen Überlegungen, wie die Ereignisse vom Kreuz zur Auferstehung zu interpretieren ist. Und das braucht Zeit, auch für den Theologen Paulus, der sich vom grausamen Verfolger zum eifernden Missionar mutierte. Doch am Anfang steht die Idee der Frauen am Grab.
Exkurs: Die «Hidden Figures»
Es ist ja nicht so, dass es heute anders wäre? – Zum Beispiel kommen im Zuge der aktuellen Marsmissionen im Fernsehen immer wieder Dokumentationen über Ereignisse der Astronautik wie «Mondlandung» oder Apollo 13 etc. Darin erscheinen ausschliesslich weisse Männer! Ja, vielleicht am Rande oder am Ende des Filmes eventuell auch ein Schwarzer. – Aber Frauen? Schwarze Frauen? - Nein! Die haben hier gar nichts zu suchen.
Margot Lee Shetterly (47) hat 2017 ein Buch über die «Hidden Figures» veröffentlicht. Bei «Hidden Figures» handelt es sich um schwarze Mathematikerinnen und Physikerinnen, die massgeblich an der Entwicklung von amerikanischen Kampfjets im zweiten Weltkrieg und in der Astronautik beteiligt waren. Sie schreibt:
War die grosse Zahl von schwarzer und weisser Frauen, die unbemerkt in einem traditionell weissen und männlichen Beruf gearbeitet hatten, überraschend, so war das wissenschaftliche Gesamtwerk, das sie hinterliessen, eine Offenbarung. ...
Da war Dorothy Hoover, die 1946 für Robert T. Jones arbeitete und 1951 einen theoretischen Aufsatz über seine berühmten dreieckigen Deltaflügel veröffentlichte. Da war Dorothy Vaughan, die bei den weissen «Ost-Computern» ein Lehrbuch über algebraische Methoden für die mechanischen Rechenmaschinen verfasste, mit dem man dort fortan ständig arbeitete. Da war Mary Jackson, die ihre Forschungsergebnisse gegen John Becker, einen der weltweit führenden Aerodynamiker, verteidigte. Da war Katherine Coleman Goble Johnson, die die Umlaufbahn von John Glenns Flug beschrieb und 1959 mit einem bahnbrechenden Bericht über mathematische Operationen von sinfoniehafter Eleganz, Präzision und Grösse überzeugte. Da war Marge Hannah, die als weisse Rechenspezialistin die unmittelbare Vorgesetzte der schwarzen Frauen war; sie verfasste als Koautorin einen Aufsatz mit Sam Katzoff, der wissenschaftlicher Forschungsleiter wurde. Da war Doris Cohen, die den Massstab für alle setzte und – als erste Frau beim NACA – 1941 ihren ersten Forschungsbericht vorlegte (S. 19f.).
Übrigens, ohne die Berechnungen von Katherine Coleman Goble Johnson hätte sich John Glenn nicht in den Weltraum gewagt. Denn zu jener Zeit war kein Verlass auf die elektronischen Computer:
Was, wenn während des Flugs der Computer aussetzte oder der Strom ausfiel? Auch das hatte es schon gegeben.
Computer in Röcken – nun, auf die würden sich Astronauten schon eher verlassen. Die Mathematikerinnen beherrschten ihre mechanischen Rechenmaschinen so gut wie Testpiloten ihre Flugmaschinen.
Elektronische Computer mochten sie Zukunft sein, John Glenn, der als erster in einem Raumschiff die Erde umkreiste, vertraute eher den Rechnerinnen wie Katherine Johnson. Ohne sie bei Namen zu kennen, sagte er zu ihren Chefs:«Veranlassen sie, dass das Mädchen die Zahlen prüft», sagte der Astronaut. Wenn sie nichts zu beanstanden hätte, wäre er startbereit (S. 291).
Die schwarzen Frauen, die Zahlen und Daten im Rechenzentrum im Westtrakt von Langley (NACA, später NASA) analysierten, wurden einfach «West-Computer» genannt und kamen kaum in Fachberichten vor. So schreibt Margot Lee Shetterly:
Selbst eine Frau, die eng mit einem Ingenieur an einem Forschungsbericht gearbeitet hatte, wurde nur selten mit der Erwähnung ihres Namens auf der fertigen Publikation belohnt. Warum, dachten viele der Ingenieure, sollten die menschlichen Computer den gleichen Wunsch nach Anerkennung hegen wie sie selbst. Es waren schliesslich Frauen (S. 129).
Aus diesem Buch habe ich meinem Ehemann, Software-Ingenieur, vorgelesen. Früher hatte er eine Zeitlang in einer Schweizer Firma gearbeitet, die Programme für die NASA geschrieben hatte. Beim Vorlesen war er erstaunt und meinte: «Davon habe ich nie etwas gehört.» - Auch in Berichten über die NASA in Zeitungen lese ich ausschliesslich von weissen Männern.
aus dem Film «Hidden Figures»
Text und Gestaltung: Esther Keller-Stocker,
17.02.2019 -
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