Einleitung
1.5. Die Bewusstseins-Mutationen
nach Jean Gebser
Was das menschliche Bewusstsein betrifft, geht Jean Gebser einen anderen Weg. Er geht aus von verschiedenen Bewusstseins-Mutationen, die der Mensch während seiner Evolution durchlaufen hatte. In seinem Buch „Ursprung und Gegenwart“ (13) unterscheidet er zwischen:
- Archaischem Bewusstsein
- Magischem Bewusstsein
- Mythischem Bewusstsein
- Mentalem Bewusstsein
- Integralem Bewusstsein
Das archaische Bewusstsein ist das ursprüngliche Bewusstsein, da unterscheidet sich der Mensch kaum vom Tier. Aus diesem Bewusstsein mutiert das magische Bewusstsein. Da lebt der Mensch in einer ihn bedrohenden Welt, auf die er aktiv reagiert und gestaltet. In einer weiteren Mutation folgt das mythische Bewusstsein, da fühlt sich der Mensch geborgen in der Grossen Mutter, in der ihn allumfassenden Natur. Aus dieser mütterlichen Geborgenheit emanzipierte sich der Mensch zum mentalen Bewusstsein. Sein Vorbild dabei ist das numinose Über-Ich , dass er als Gott wahrnimmt. Dieser Gott sucht die Grosse Mutter im heiligen Zorn hinter sich zu lassen. In der mentalen Wahrnehmung ist „männlich“ „wirklich“, „weiblich“ „nicht wirklich“.
Jean Gebser weist auch auf den Einfluss des magischen Bewusstseins im mentalen Bewusstsein hin, der sich heute in der Technik manifestiert. Er schreibt:
„Machen“ und „Macht“ stammen aus der gleichen Wortwurzel wie Magie, magh. Zu dieser Wortwurzel gehört auch „Mechanik, Maschine (15).
„Maschinen“ sind die Mittel des Ewigen Machers im ewigen Kampf, sich die Welt als Symbol des Weiblichen unterzuordnen. Mehr darüber berichte ich in Video 2.
Das moderne Bewusstsein bezeichnet Jean Gebser als integrales Bewusstsein. Hier geht es nicht mehr um eine spezifische Bewusstseinsmutation sondern um die Integration aller bisherigen Bewusstseinsmutationen. Damit drückt Jean Gebser auf seine Weise das Selbst aus. Das integrale Bewusstsein ist ein Zustand des Bewusstseins auf allen Ebenen, das andererseits auch offen ist für unbewusste Inhalte, die von der Symbolik her uralt sind, aber mit dem integralen Bewusstseins neue Ideen hervorbringt.
Die Bewusstseinsmutationen, wie sie Jean Gebser formuliert hatte, versuche ich hier im Symbol Yin und Yang zu beschreiben:
Mentales Bewusstsein ist die patriarchale Ordnung, die sich am Muster des numinosen «Über-Ich» orientiert. Magisches Bewusstsein sind die Mittel, mit denen der Mensch sich die Natur unterwirft. Mythisch ist das Bewusstsein, das sich in der allumfassenden Natur geborgen fühlt und archaisches Bewusstsein orientiert sich an den Grundbedürfnissen des Menschen.
Oder wenn man vom integralen Bewusstsein ausgeht, wie es sich in unserer Zeit manifestiert, könnte man das wie folgt darstellen:
Zum mentalen Bewusstsein gehören die Denk-Modelle und Nachrichten, zum magischen Bewusstsein Produkte und Technik, mit denen wir uns in der Welt behaupten und das mythische Bewusstsein sind die Überflutung von Bildern und Musik. Ins archaische Bewusstsein gehören die verschiedenen Beziehungen, die uns Freude bereiten oder uns in Konflikte stürzen.
2. Die archetypischen Eltern
2.1. Die Überwindung der Grossen Mutter
Jean Gebser hat anhand der altgriechischen Kulturgeschichte gezeigt, wie sich das mentale Bewusstsein aus dem mythischen Bewusstsein entwickelt hatte.
Magic the Gathering News
aus goyf.de
Mit dem gerichteten Zorn befreiten sich Götter und mit ihnen die Menschen aus der Geborgenheit der Grossen Mutter und damit auch aus dem mythischen Bewusstsein. Mit dem mentalen Bewusstsein schufen sie Normen und Gesetze. Es wird unterstützt durch das magische Bewusstsein mit seiner Tendenz, die Welt zu beherrschen. Wissenschaft und Technik entwickelten sich. Damit suchten die Menschen die Grosse Mutter in ihren Symbolen wie Materie, Erde, Welt zu beherrschen. Dieses Verhalten im mentalen Bewusstsein nimmt zur Zeit extreme Formen an, die uns alle vernichten werden.
Die Entwicklung vom mythischen zum mentalen Bewusstsein, wie es Jean Gebser gezeigt hatte, lässt sich auch im Alten Testament nachweisen:
Im Alten Testament behauptete sich der Gott Jahwe im „eifernden Zorn“ zum alleinigen Gott. Der Gott Jahwe ist in der Bibel trotz Bilderverbot männlich, sein Eigenname Jhwh (16) wird allgemein mit HERR übersetzt. Das archetypisch Weiblichen, das im Unbewussten gleichwertig ist, wird im Alten Testament abgewertet. Trotzdem taucht es immer wieder auf, z.B. negativ als Israel, dem abtrünnigen Volk Jahwes: Das Volk Israel wurde etwa nach dem Propheten Ezechiel (17) von Jahwe auf dem Felde aufgelesen, zu seiner Frau gemacht und als Dirne verworfen. In all den Vorwürfen Jahwes bleibt Israel stumm, hat keine Stimme. D.h. sie fällt mit dem Schatten Jahwes zusammen.
Typisch ist wie Jahwe sein Volk im unbarmherzigen Zorn bestraft und dabei seine eigenen Sehnsüchte und Sexualität auf Israel respektive auf die Grosse Mutter projiziert. Es sind seelische Projektionen, die, weil nicht als eigenes Problem erkannt, auf die Aussenwelt projiziert werden, auf das Volk, Land oder Stadt. Dass es sich um Projektionen handelt, ist an den Vorwürfen der Propheten zu erkennen, denn es geht hier nicht nur um sexuelle Ausschweifungen sondern auch um ungerechtes Handeln Mächtiger gegenüber Armen (Ez. 16,49), die sexualisiert den Zorn Jahwes herauf beschwören.
2.2. Der Ewige Macher
Ein anderer Aspekt des archetypisch Männlichen ist der Vater als „der Schöpfer“, er „macht“ und schafft“. Ich nenne ihn den «Ewigen Macher». Doch während die Grossen Mutter „gebiert“ und „Grundlagen“ darstellt, ist beim Grossen Vater das Material des Schaffens immer schon vorhanden, wird kommentarlos vorausgesetzt. Das ist etwa beim Gleichnis vom Töpfer der Fall, das der Prophet Jeremia (Jer. 18) beschreibt (18): Der Töpfer (d.h. Gott) formt den Ton (sein Volk). Der Ton ist aber bereits vorhanden. Ton ist wie Erde oder Mater-ie ein Symbol der Grossen Mutter. Wenn Jahwe den Ton nach seinem Gutdünken gestaltet oder vernichtet, will er Macht über die Grosse Mutter ausüben, sie nach seinen Vorstellungen bilden. Im Bild Ton, Lehm als Metapher für sein Volk wird der Archetyp der Grossen Mutter konkretistisch in die Aussenwelt projiziert und so als wehrloses, formbares, stummes Material behandelt. Doch anders als der konkrete Lehm entwickelt der Ton im Gleichnis eine Eigendynamik, die der Absicht Jahwes zuwiderläuft. Und was macht der liebe Gott darauf? - Er will den von ihm geformten Ton auslöschen mit Krieg und Zerstörung. Das ist der negative Aspekt des Grossen Vaters. Was sich nicht in sein Konzept fügt, wird zerstört. Und Zerstören tut Jahwe mit seiner eigenen Gründlichkeit.
Horst E. Richter hat in seinem Buch „der Gotteskomplex“ gezeigt, wie der europäischen Mensch während der Zeit der Aufklärung die Furcht vor Gott verloren hatte, indem er sich mit Gott identifizierte. In der Neuzeit tritt er an Stelle Gottes und übernimmt damit das Psychogramm des Grossen Vaters als Ewiger Macher. Und was macht der Ewige Macher? – Er gestaltet die Welt nach seinen Vorstellungen, zum Beispiel mit Reagenzgläschen, Mikrofasern und Atomenergie. Und da fängt der Schatten an, denn das Zerstörungspotential dieses Tuns ist gewaltig. Krieg und Vernichtung gegen Völker, Zerstörung der Tierwelt und der Erde und der Klimawandel! Es ist der Eifer, die Überhitzung, der Fortschritt, die Bewegung des patriarchal-mentalen Bewusstseins, die wie einst bei Jahwe hypernd die Welt zu verglühen droht.
Anmerkungen
- Vgl. Carl Jaspers vom Ursprung und Ziel der Geschichte
- «das numinose Über-Ich» bei Alfred Adler in der nervöse Charakter
- Jean Gebser, Ursprung und Gegenwart
- Othmar Keel, Gott weiblich
- Ezechiel 16, vgl. meine Interpretation zu Ezechiel 16
- Jeremia 18,7, vgl. meine Interpretation zu Jer. 18
Text und Design: Esther Keller, Juni 2016