Vorwort
Der Text II. Mose 3 hat drei Themen:
- Das Ringen um den eigentlichen Namen Gottes
- Die Berufung Mose
- Der Auftakt zum Herausführen Israels aus Ägypten
Im ganzen Alten Testament ist in dieser Erzählung die Häufung der verschiedenen Gottesnamen einmalig und weist auf eine Unsicherheit hin, was unter dem einzig wahren Gott Jahwe zu verstehen ist. Darüber hinaus beinhaltet "der brennende Dornbusch" viele Spannungen, Brüche und Wiederholungen, die von einer intensiven Bearbeitung des Textes zeugen (2). Ideen und Vorstellungen werden mehr oder weniger elegant ineinander geschoben. Ursprünglich ging es um die Erzählung eines kultischen Ortes, eines heiligen Baumes, aus dem die Komposition mit der Erwählung Mose zum Anführer Israels entstanden ist.
Der Verfasser des brennenden Dornbusches ist unbekannt und wird "der Jahwist" genannt. Mit dem "Jahwist" sind mehrere Verfasser einer gemeinsamen theologischen Schule gemeint, die vor allem das I. und II. Buch Mose prägten. Für die einen Exegeten lebte der Jahwist in der Zeit Salomons, für andere ähneln die Erzählungen des Jahwisten den Formen und Gedanken griechischer Philosophen des 6. Jh. v. Chr. und datieren deshalb den Jahwisten ins 6. Jh. v. Chr (3). In der Zeit der neubabylonischen Herrschaft war Jerusalem und der Tempel zerstört. Das Zentralheiligtum der zwölf Stämme Israels, die Lade, blieb verschollen. Jahwe lebte in der Wüste wie einst in alten Zeiten.
Der Jahwist, der im 6. Jahrhundert vor Christus wirkte, übernahm das Gedankengut der langen prophetischen und geschichtlichen Tradition Israels und Judäa und wandelte den vorgegebenen Stoff nach seiner theologischen Überzeugung um oder erfand neue Gestalten und Erzählungen, die er den Gläubigen in Judäa während und nach der Zeit der babylonischen Herrschaft in Predigten vorgetragen hatte.
Was mir beim Jahwisten besonders auffällt (4), ist sein grosses Bemühen, aus dem vorgegebenen Traditionsgut die Idee eines idealen Patriachats zu gestalten. Er übernimmt zum Beispiel die Polemik vergangener Propheten und Geschichtsschreibern gegen Unzucht und Ungehorsam gegen Gott und formt daraus moralisch erhabene patriarchale Erzählungen.
* * *
Die Bibel und insbesondere die Texte des Jahwisten sind zur Zeit der grossen Bewusstseinswende des 1. Jahrtausends vor Christus entstanden (5). In diesem Zeitraum mutierte nach Jean Gebser das menschliche Bewusstsein vom mythischen zum mentalen Bewusstsein (6). Mircea Eliade sah die Bedingung einer solchen Mutation im ausgeprägten Sonnenkult. Nur bei Völkern mit einem ausgeprägten Sonnenkult entwickelte sich ein straff organisierten Staat und diszipliniertes Denken (7).
Das mentale oder rationale Bewusstsein hat seine Wurzeln im Archetyp des Grossen Vaters (8). In den letzten 5000 Jahren dominierte das Denken im Bewusstsein immer mehr und löste das matrilokale System mit dem mythischen Bewusstsein und der Geborgenheit in der Grossen Mutter ab . In der christlichen Tradition Europas stellt der Grosse Vater in der Figur von Gott Vater oder Jesus Christus das numinose Über-Ich dar (9) . Horst E. Richter hat in „der Gotteskomplex“ gezeigt, wie sich der Mensch im europäischen Mittelalter vor Gott fürchtete und seit der Aufklärung diese Furcht überwunden, indem er die vorgegebenen göttlichen Fähigkeiten immer mehr zu seinen eigenen machte.
Text und Gestaltung revidiert im Mai 2015
Esther Keller-Stocker, Uttwil (Schweiz), Email