Der brennende Dornbusch

von Esther Keller-Stocker

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II. Mose 3,6-11

3. Die Gottesbezeichnungen

Die Übersetzung lautet:

Er sprach: „Ich bin der Gott (elohe) deiner Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs“. Da verhüllte Mose sein Antlitz, denn er fürchtete sich, Gott zu schauen. Und Jahwe sprach: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten sehr wohl gesehen und ihr Schreien vor ihren Treiber habe ich gehört. Ja, ich kenne seine Leiden.“ Nun bin ich herabgestiegen, um es aus der Hand der Ägypter zu erretten und es aus diesem Land herauszuführen in ein schönes und weites Land, in ein Land, wo Milch und Honig fliesst, in das Gebiet der Kanaanäer, Hethiter, Amoriter, Pheresiter, Hewiter und Jebusiter. Nun sind die Schreie der Söhne Israels zu mir gedrungen. Auch habe ich die Drangsal gesehen, mit der die Ägypter sie bedrücken. Und nun, wohlan! Ich will dich zum Pharao senden, dass du mein Volk, die Söhne Israels, aus Ägypten führen sollst.“ Aber Mose sprach zu Gott (Elohim): „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe, um die Söhne Israels aus Ägypten zu führen?“ Da sprach er: „Ich werde mit dir sein! Und dies ist dir Zeichen, dass ich derjenige bin, der dich gesandt habe. Wenn Du das Volk aus Ägypten führst, werdet ihr an diesem Berg Gott verehren.

El Schaddaj in "der brennende Dornbusch"

Jahwe stellt sich vor, nicht "ich bin Dein Gott" oder "ich bin der Gott Deines Vaters" wie an anderen Stellen, wo an die vorangegangene Generation gedacht wird, sondern "ich bin der Gott deines Vaters (singular), der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs". Drei Kapitel später in II. Mose 6,3 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gott den Vätern Abraham, Isaak und Jakob als El Schaddaj erschienen ist.

Aber wer war der Gott dieser Väter? Wer war El Schaddaj?

3.1. Der Gott Abrahams

In I. Mose 17,1 erschien Jahwe dem Abraham. Abraham war damals 99 Jahre alt.

Ich bin El Schaddaj, wandle vor mir und sei fromm. Und ich will meinen Bund zwischen mir und dir machen und ich will dich gar sehr mehren. Da fiel Abraham auf sein Angesicht.

Im weiteren wird Abraham zum Vater vieler Völker ernannt, er soll sich mehren und fruchtbar sein. "Sich mehren", "fruchtbar sein" sind Attribute der Grossen Erdgöttin wie archäologische Funde in Alt-Europa und um das Mittelmeerbecken belegen (28).

In der Septuaginta, der ersten griechischen Übersetzung des Alten Testaments, wird El Schaddaj "allmächtiger Gott" genannt (29). Was genau "Schaddaj" heisst, wusste man da offenbar nicht mehr und hatte den Namen entsprechend interpretiert. Aber auch die Autoren des Priesterkodex (6. Jh. v. Chr.) übernahmen den Namen El Schaddaj für ihr eigenes theologisches Konzept (30).

Andererseits sind die vielen weiblichen Andeutungen zu Schaddaj auffällig. Zum Beispiel stellt I. Mose 49,25 Schaddaj in Beziehung zu Brüsten und Mutterleib:

Von deines Vaters Gott ist dir geholfen, und von El Schaddaj bist du gesegnet mit Segen oben vom Himmel herab, mit Segen von der Tiefe, die unten liegt, mit Segen der Brüste und des Mutterleibes.

Prophet Jesaja sieht "Gewalttat und Verheerung" durch Schaddaj:

Heulet, denn Jahwes Tag ist nahe; er kommt wie eine Verwüstung durch Schaddaj (Jes. 13,6).

Und im 3. Spruch Bileams heisst es:

Spruch dessen, der Gottesworte hört
der die Offenbarung Schaddajs schaut,
hingesunken und mit enthüllten Augen
(IV. Mose 24,4)

Im Alten Testament wird El-Schaddaj also mit „Brüste und Mutterschoss“, „Verheerung“ und „Offenbarung“ in Verbindung gebracht. „Brüste und Mutterschoss“ gehören klar zu einer Göttin. Diese Göttin offenbart sich in Träumen, bringt auch Verwüstung über die Feinde. Solche Göttinnen waren im Alten Orient sehr bekannt wie etwa die kriegerische Istar von Arbela, die einem Seher von Assur erscheint. Der Seher erzählt dem König Assurbanipal von Assur:

"... legte sich ein Seher nieder und sah ein Traumgesicht. Als er dann erwachte, liess ihn Istar ein nächtliches Gesicht sehen. Er berichtete es mir (d.h. dem König Assurbanipal) also: „Istar, die in Arbela wohnt, trat ein: rechts und links hatte sie Köcher hängen; Sie hielt den Bogen in ihrer Hand gefasst (und) das scharfe für die Schlacht bestimmte Schwert gezückt. Vor dich hin trat sie (und) wie die Mutter, deine Gebärerin, sprach sie mit dir. Es rief dir Istar, die erhabene unter den Göttern, zu, dir folgenden Befehl erteilend : „Achte darauf, den Ausspruch zu erfüllen; wohin dein Antlitz gerichtet ist, dorthin rücke ich aus“. Du sagtest (nämlich) zu ihr: „Wohin du gehst, will ich mit dir gehen, Herrin der Herrinnen“. Sie verkündete dir (nämlich) folgendes: „Du sollst hier, wo die Wohnstätte des Nabu (ist), verweilen. Iss Speise, trink Wein, machte Musik (und) lobpreise meine Gottheit. Bis dass ich hingehe, jenes Werk ausführe (und) deine Herzenswünsche erfülle, soll weder dein Angesicht erbleichen, noch sollen deine Füsse bewegungslos sein, noch deine Kraft im Ansturm der Schlacht auslassen. In ihrem guten Busen umfasste sie dich und schützte deine ganze Gestalt. Vor ihr her wird ein Feuer auflodern. Zur Besiegung (deiner (?) Feinde .... zur Seite. Wider Temmann, den König von Elam, gegen den sie ergrimmt ist, hat sie ihr Antlitz gerichtet“. Im Lul, (dem Monate) „des Bescheides (?) der Göttinnen“, am Feste des erhabenen Assur, dem Monate des Sin, der Leuchte (?) Himmels und der Erde, vertraute ich auf die Entscheidung des glänzenden Nannar und (auf) den Bescheid der Istar, meiner Herrin, der nicht geändert wird. Ich bot meine Schlachttruppen auf, die Krieger, welche auf Geheiss Assurs, Sins und der Istar sich zum Kampfe rüstete (31).

 

Wie bei El Schaddaj im Alten TestamHathor, ägyptische Göttinent kommt hier bei Istar von Arbela Offenbarung, Krieg und Busen zusammen. Eine andere altorientalische Göttin mit diesen Eigenschaften kennen wir aus Syrien, Anat die Liebes- und Kriegsgöttin oder Sachmet aus Ägypten, die Herrin des Zitterns. Sie war die Herrin der Schlachten: Als sich die Menschen gegen Re erhoben hatte, rächte ihn Sachmet. Sie tötete so viele Menschen, dass Re glaubte, sie rotte die Menschheit aus. (32)

Der Reformator Martin Luther übersetzte El Schaddaj mit Mutterbrust (33). W. J. Hollenweger schrieb in seinem Blog vom 20.09.2007 (34):

Aber „Schaddaj“ mit „Muttergöttin“ zu übersetzen, ist gewiss wahrscheinlicher als die falsche Übersetzung „allmächtig“.

3.2. Der Gott Isaaks

In I. Mose 22 erhält Abraham von Jahwe den Auftrag, seinen Sohn in Morija zu töten (I. Mose 22). Im letzten Moment greift der Bote Jahwes ein:

Da rief ihm der Engel Jahwes vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts; denn nun weiss ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham sein Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern verfangen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt. Und Abraham nannte jene Stätte: Jahwe sieht, wie man noch heute sagt: Auf dem Berg, wo Jahwe sich sehen lässt. (I. Mose 22,11-14)

Wie in II. Mose 3 kommt hier ein Bote Jahwes und ein "Baum" (Dickicht, Gebüsch: sebak) vor.  Anstelle einer Schlange taucht hier ein Widder auf, der wie oben gezeigt, ebenfalls zur Baumgöttin gehört. Im Alten Orient wird die Beziehung zwischen Baumgöttin und Ziegenbock als sexueller Akt dargestellt.

Der Baum und seine Tiere von einem altorientalischen Künstler
aus "Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament" von Othmar Keel, Abb. 189, S. 124

Im Bild sind deutlich zwei Ziegenböge zu sehen, die mit ihren Phallen mit dem Busch oder dem Baum verbunden sind. Daneben sind zwei Keruben zu sehen. Othmar Keel schreibt zu diesem Bild: "Während die Ziegen am Lebensbaum dessen vitale Potenz ahnen lassen, signalisieren die Keruben seine Heiligkeit. Sie erscheinen in den Psalmen in unmittelbarer Nähe der Gottheit (S. 124).

Schafgöttin mit Sonnenscheibe und Halsband

aus Buffie Johnson, Die Grosse Mutter in ihren Tieren, Abb. 202, S. 215

Die Verehrung des Widders als Tier der Göttin, die ursprünglich als Vogel dargestellt wurde, ist seit dem 7. Jahrtausend v. Chr. in Kleinasien belegt (35). In jener Zeit wurde in Nordafrika auch die Schafgöttin mit der Sonnenscheibe und dem Halsband mit dem „Zickzack“-Muster verehrt (36). Das Zick-Zack-Muster (oder Netzmuster) gehörte zum Grundmotiv der neopaläolithischen Zeit und signalisiert die lebensspendende Kraft der Göttin (37).

. Ziegen auf einem Ziegenbaum

aus Othmar Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, S. 12

Da in der Erzählung vom brennenden Dornbusch Mose ausdrücklich als Hirte von Schafen und Ziegen erwähnt ist, hatten diese Tiere einen grösseren Bezug zum Geschehen als die uns überlieferte Version vorgibt. Im Alten Testament wird normalerweise dem sich offenbarenden Gott geopfert, doch dieses Opfer lässt der Jahwist ganz weg, wohl aus der Erkenntnis heraus, dass Gott zu erkennen mehr zählt als Opfer darzubringen. Damit liegt der Jahwist im Trend des rationalen Bewusstseins, das sich zu jener Zeit durchsetzte.

3.3. Der Gott Jakobs

In I. Mose 32 kämpft Jakob eines Nachts mit einem Flussdämon und besiegt ihn vor der Morgenröte. Darauf gibt der Unbekannte dem Jakob den Namen Israel mit der Begründung:

Du sollst nicht mehr Jakob heissen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und gesiegt (I. Mose 32,29).

Drei Kapitel weiter stellt sich Gott dem Jakob als El Schaddaj vor. Auch El Schaddaj gibt Jakob den Namen Israel mit der Begründung "sei fruchtbar und mehre dich".

Du heisst Jakob; aber du sollst nicht mehr Jakob heissen, sondern Israel sollst du heissen. Und also heisst man ihn Israel. Und Gott sprach zu ihm: Ich bin El Schaddaj; sei fruchtbar und mehre dich;  Völker und Völkerhaufen sollen von dir kommen, und Könige sollen aus deinen Lenden kommen; und das Land, das ich Abraham und Isaak gegeben habe, will ich dir geben und will‘s deinem Samen nach dir geben. Also fuhr Gott auf von ihm von dem Ort, da er mit ihm geredet hatte. Jakob aber richtete ein steinernes Mal auf an dem Ort, da er mit ihm geredet hatte, und goß ein Trankopfer darauf und begoß es mit Öl. Und Jakob hieß den Ort, da Gott mit ihm geredet hatte, Beth-El (I. Mose 35,10-15)

"Sei fruchtbar und mehre dich", ganze Völker und Königsgeschlechter sollen von Jakob stammen. Dieser Text erinnert eher an einen Fruchtbarkeitsritus eines Königs mit einer Fruchtbarkeitsgöttin.

In der heutigen Fachliteratur wird Israel übersetzt mit "Gott streitet (für uns)" oder "Gott möge (für uns) streiten" oder "Gott herrscht" oder "Gott möge herrschen". Dies passt eigentlich gar nicht zum Auftrag, fruchtbar zu sein. An eine ganz andere Übersetzung denkt Robert von Ranke-Grave (38), nämlich Isch-Rahel, Mann Rahels. In der biblischen Erzählung ist Rahel die Lieblingsfrau Jakobs.  Der Name Rahel bedeutet Mutterschaf. Und das Mutterschaf war eine Manifestation der Aschera.

Moses stammt sowohl mütterlicher- wie auch väterlicherseits vom Stamme Levi ab (II. Mose 2,1). In I. Mose 29 ist Lea die erste Frau Jakobs und Stammutter der Levis (V. 34). In der Fachliteratur wird Le'ah von "ermüdet", "abgekämpft" abgeleitet, sie ist also "die Ermüdete". Einige übersetzen Lea mit "Wildkuh". Die Wildkuh (39) ist ein anderer Aspekt Ascheras und der Aspekt vieler altorientalischer Göttinnen. Lea im Sinne von Wildkuh passt besser zu Rahel (Mutterschaf). Lea würde dann das fruchtbare Land der Bauern vertreten, Rahel die Weiden der Hirten. Andere Forscher übersetzten Lea aus dem Assyrischen, dabei soll sie "Herrscherin" oder "Herrin" heissen. Nach Eduard Meyer (40) haben aber Lea, Lewi und Lewiathan etymologisch den gleichen Ursprung ljih "als Kranz vorliegen", "winden". Ljih bedeutet also Schlange. Dabei weist er auf den Schlangenkult (Nechustan in II. Könige 18,14) in Jerusalem (41) . Die Bedeutung Leas als Schlange würde gut zu Mose passen, dessen Stab zu einer Schlange wird (II. Mose 4,1ff.). In II. Mose 4 wäre dann nicht der Gott Jakobs da sondern "Lea", eine Manifestation der altorientalischen Göttin, die sich ihm als Baum und Schlange manifestiert. Doch die Geschichte von der Erscheinung der Stammmutter und Göttin passt nicht zur patriarchalen Gesinnung des Autors vom "brennende Dornbusch".

3.4. Der Gott der Hebräer

Der Begriff "Hebräer" kommt im Alten Testament wenig vor (42). In II. Mose ist "Gott der Hebräer" "Jahwe der Gott Israels". Der Gegner des "Gottes der Hebräer" ist der Pharao. Die beiden Völker Israel und Ägypten unterscheiden sich in "Gottesvolk" und "Unterdrücker" (43).

Die Erzählung vom Auszug aus Ägypten, wie es uns vorliegt, stammt aus früh nachexilischer Zeit (44) und ist eine Projektion in eine ferne Zeit zurück um 1200 v. Chr. Aus der Zeit Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. sind uns aber keine Belege für den Namen "Hebräer" überliefert. Aus Ägypten kennen wir die pr(w). Das waren Kriegsgefangene unterschiedlicher Herkunft. Sie wurden bei staatlichen Bauarbeiten eingesetzt (45), wie etwa ein Musterbrief Ramses II. zeigt:

Gib Getreideproviant … den 'pr, welche für den grossen Pylon von […..] Ramses Miamum‘ Steine ziehen (46).

Diese Kriegsgefangene heissen in keilschriftlichen Quellen der Akkader hap/bîru. Die Hapiru machten als marodierende Banden den Vorderen Orient unsicher.

Im Alten Testament kommen die Begriffe "Hebräer" oder "Gott der Hebräer" häufig in Texten vor, die entweder von Frauen handeln oder von der Grossen Mutter in ihrem fruchtbaren und furchtbaren Aspekt, wie sie Erich Neumann eingehend beschrieben hat (47): So befiehlt der Pharao den hebräischen Hebammen Siphra und Pua alle Knaben zu töten, die von hebräischen Frauen geboren werden (II. Mose 1,15-22). Ein Kapitel weiter sieht eine Pharaonentochter den kleinen Mose im Körbchen auf dem Nil schwimmen:

Und da sie es auftat, sah sie das Kind; und siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte es sie, und sprach: Es ist der hebräischen Kindlein eins. Da sprach seine Schwester zu der Tochter Pharaos: Soll ich hingehen und der hebräischen Weiber eine rufen, die da säugt, daß sie dir das Kindlein säuge? Die Tochter Pharaos sprach zu ihr: Gehe hin. Die Jungfrau ging hin und rief des Kindes Mutter. Da sprach Pharaos Tochter zu ihr: Nimm hin das Kindlein und säuge mir's; ich will dir lohnen. Das Weib nahm das Kind und säugte es. Und da das Kind groß war, brachte sie es der Tochter Pharaos, und es ward ihr Sohn, und sie hieß ihn Mose; denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen (II. Mose 2,6-10).

Ungeachtet des Verbotes ihres Vaters lässt die Prinzessin den Kleinen von seiner Mutter nähren und nimmt ihn später an den Hof. Die Prinzessin ist es auch, die ihm nach alter Müttersitte den Namen Mose gibt.

Die Plagen, die der Gott der Hebräer den Ägyptern schickt, gehören bei Erich Neumann zum furchtbaren Aspekt der Grossen Mutter, zum Beispiel soll das Wasser in Blut verwandelt werden.

Jahwe, der Hebräer Gott, hat mich zu dir gesandt und lassen sagen: Laß mein Volk, das es mir diene in der Wüste. Aber du hast bisher nicht wollen hören. Darum spricht Jahwe also: Daran sollst du erfahren, daß ich Jahwe bin. Siehe, ich will mit dem Stabe, den ich in meiner Hand habe, das Wasser schlagen, das in dem Strom ist, und es soll in Blut verwandelt werden, … (II. Mose 7,16f.)

Ebenso gehören die Frösche (48), die zwei Pestwellen, die über Vieh und Mensch kommen (II. Mose 9), die Finsternis und die Tötung der männlichen Erstgeburt in den Einflussbereich der Grossen Mutter. Die Tötung der Erstgeburt ist das Opfer an die Grosse Mutter.

Bei der Ankündigung der jeweiligen Plage treten stets Mose und sein Bruder Aaron vor den Pharao. Aaron gilt als Sprachrohr Mose. Doch in den Texten II. Mose 5 bis 7 dürfte Aaron die ursprüngliche Hauptperson gewesen sein.

Wenn Pharao zu euch sagen wird: Beweist eure Wunder, so sollst du zu Aaron sagen: Nimm deinen Stab und wirf ihn vor Pharao, dass er zur Schlange werde (II. Mose 7,9)

Gewisse Spannungen, wer Gewalt über den Stab hat, liest man in II. Mose 7,14-20: Zuerst soll Mose nach Befehl Jahwes, den Gott der Hebräer, den Stab als Schlange aufs Wasser schlagen:

Und Jahweh sprach zu Mose: Das Herz Pharaos ist hart; er weigert sich das Volk zu lassen. Gehe hin zu Pharao morgen. Siehe, er wird ins Wasser gehen; so tritt ihm entgegen an das Ufer des Wassers und nimm den Stab in deine Hand, der zur Schlange ward, und sprich zu ihm: Yahweh, der Hebräer Gott, hat mich zu dir gesandt und lassen sagen: Laß mein Volk, daß mir's diene in der Wüste. (Ex. 7,14-16)

Zwei Verse weiter gibt Gott dem Mose den ausdrücklichen Befehl, dass Aaron den Stab schwingen soll:

Jahwe sprach zu Mose: Sage Aaron: Nimm deinen Stab und recke deine Hand aus über die Wasser in Ägypten, über ihre Bäche und Ströme und Seen und über alle Wassersümpfe, daß sie Blut werden; und es sei Blut in ganz Ägyptenland, in hölzernen und in steinernen Gefäßen. Mose und Aaron taten, wie ihnen Jahwe geboten hatte, und er hob den Stab auf und schlug ins Wasser, das im Strom war, vor Pharao und seinen Knechten. Und alles Wasser ward in Blut verwandelt (II. Mose 7,19-20).

Diese Verdoppelung zeigt, dass die Gabe der Verwandlung der Schlange ursprünglich zu Aaron gehörte. Diese Tatsache wurde vom Jahwisten korrigiert und dem berufenen Mose übertragen.

Aharon

Doch nun zum Namen Aaron. Denn es ist doch eigenartig, wie immer wieder an bedeutenden Stellen die vier Konsonanten AHRN auftauchen:

  •  In II. Mose begleitet Aaron ab Kapitel 4 den Moses nach und in Ägypten.
  • Im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels steht die Lade (ha-aaron). Sie war einst das Heiligtum der Stammesgemeinschaft und wurde von David nach Jerusalem gebracht (II. Sam. 6).
  • Als Jahwe den König David einmal in Versuchung brachte, das Volk zu zählen, traf David den Jebusiter Arauna auf der Tenne (II. Samuel 24). An genau dieser Stelle liess Salomon später den Jerusalemer Tempel bauen (II. Chr. 3,1).
  • Und im V. Mose wurden die zwei Gebotstafeln in die Lade (Aaron) verstaut.

Aaron ist im Pentateuch der Bruder Moses. Doch diese Ansicht ist spät in das Alte Testament gekommen. So kann etwa Heinrich Valentin in seinem Buch "Aaron, eine Studie zur vorpriesterlichen Aaron-Überlieferung" nirgends nachweisen, dass Aaron jemals existiert hatte. In der Fachwelt repräsentiert der Name Aaron als Eponym einen ursprünglich fremden Glauben. H. Seebass meint, die Bedeutung Aarons und zugleich seine strikte Unterordnung unter Mose nur so deuten zu können:

..., dass Aaron Repräsentant eines ursprünglich fremden Glaubens war und dass man diesen nur so aufnehmen konnte, dass man dessen sakralen Vertreter aufs Schärfste an Mose band (49).

Wie ich schon an anderen Stellen (50). gezeigt habe, geht der Name Aaron auf die hethitische Sonnengöttin von Aruna oder Arinna zurück. Im 2. Jahrtausend vor Christus war das Hethiterreich eine Grossmacht, deren Zentrum im Anatolien lag und sich über ganz Mesopotamien, Syrien und Palästina erstreckte. In den Städten Palästinas herrschten die Hethiter (51) und ihre Staatsgöttin war Sonnengöttin von Arinna.

Spuren Andererseits hatten sich am Ende des 2. Jahrtausends vor Christus einige semitische Stämme zu einem Stämmebund zusammengetan, um sich gegen die gut organisierten Städten in Palästina behaupten zu können. Ihr Stämme übergreifendes zentrale Heiligtum war die Gottheit, deren Namen uns als "Aruna" überliefert ist. Wie könnte es dazu gekommen sein? Ich gehe davon aus, dass die bäuerlichen Städte in Palästina auf die von Süden kommenden Beduinenstämme eine ungeheure Anziehungskraft hatten. Die Beduinenstämme waren sowohl friedlich als auch kriegerisch in das fruchtbare Land Palästina gekommen. Da jeder Stamm seine eigenen Dämonen, Ahnen und Götter hatte, musste eine übergeordnete Figur gefunden werden, die die Struktur des Stämmebundes verkörperte. Dazu kommt, dass die israelitischen Stämme matrilokal strukturiert waren, wie Leo Frobenius (50) ausführlich berichtet hatte . Da kam ihnen die hethitische Staatsgöttin von Arinna als übergeordnete Mutter gelegen. Die Göttin ersetzte die einzelnen Stammesmüttern. Doch mit diesem Ersatz war auch die Macht der Mütter gebrochen. Denn Grossreiche sind patriarchalisch strukturiert und dehnen sich in grausamen Kriegen aus. Wer sich ihnen gegenüber behaupten wollte, musste sich ihnen anpassen, sowohl in der patriarchalen Struktur als auch im Krieg, dem Schattenproblem des Patriarchats. Der israelitische Stämmebund musste sich gegen die Grossmächte der Hethiter und der Ägypter behaupten, aber auch gegen die Philister, die damals von Nordosten den Alten Orient überschwemmten, aber auch gegen die Midianiter, die als erste mit Kamelen auf Raubzügen gingen. Für den Zusammenhalt des israelitischen Stämmebundes bedurfte es einen Heerführer und Krieger, im Alten Testament heissen die "Richter". Dabei wich die matrilokale Struktur allmählich der patriarchalen Ordnung. Auch die hetitische Staatsgöttin von Arinna, verlor ihre Macht. In Israel wurde sie etwa von König Salomo ins Allerheiligste, also in ein finsteres Verliess, verbannt. In der Zeit judäischer Könige war sie Fruchtbarkeits- und Todesgöttin, die Deuteronomisten machten sie in der Zeit des babylonischen Exils zum "Behälter der 10 Gebote" und im Priesterkodex wird sie einerseits zur Lade aus Akazienholz, andererseits taucht sie als Bruder und Hohepriester Aaron auf.

Doch zurück zum BegriffZiegenbock als Flamme/Engel "Hebräer": Abraham wird ausdrücklich als Hebräer bezeichnet (I. Mose 14,13). Sein Gott und der Gott seiner Söhne war, wie bereits erwähnt, El Schaddaj:

Und Elohim sprach zu Mose. Und er sagte zu ihm: "Ich bin Jahwe, und ich bin erschienen Abraham, Isaak und Jakob als Gott Schaddaj*; aber mein Name Jahwe ist ihnen nicht offenbart worden. Auch habe ich einen Bund mit ihnen aufgerichtet, daß ich ihnen geben will das Land Kanaan, das Land ihrer Wallfahrt, darin sie Fremdlinge gewesen sind.
(II. Mose 6,2-4)

 

* statt Elohim (plural) wie üblich steht hier El Schaddaj (singular) (53).

Nach dieser Aussage war El Schaddaj der Gott, genauer die Göttin der Hebräer.

Auch Joseph wurde Hebräer genannt (54) und musste wegen der Frau Potifars ins Gefängnis, wo er die Träume des Bäckers und Mundschenks deutete und später den Traum des Pharaos. Sie hat offenbar auch sein Geschick vom Hause Potifars ins Gefängnis gewirkt. Seine Reise von Israel nach Ägypten, Fall und Aufstieg gleicht einem Mysterienweg, hinter dem die Grosse Mutter steht (55). Traumdeutung und die Schicksal fügende Macht gehört in den Bereich der Grossen Mutter (56).


Text und Gestaltung revidiert im Mai 2015
Esther Keller-Stocker, Uttwil (Schweiz), Email

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