AUFSÄTZE ZU EINER GANZHEITLICHEN THEOLOGIE

Esther Keller-Stocker

Der Apfel

Eine Paradies-Erzählung

Wir waren daran unser Haus renovieren zu lassen. Eines Tages wollte ich doch mal nachschauen, wie weit die Arbeiten fortgeschritten waren und trat in das Haus. Unten im Parterre hatte es ein Wohnzimmer, hell erleuchtet, geräumig und gemütlich eingerichtet. Im Cheminée knisterte ein Feuer, an der Wand stand ein gläserner Schrank. Dann stieg ich die Treppe hoch in den ersten Stock und gelangte in ein grosses Zimmer.

Dort standen drei schwarz gekleidete Männer um den Tisch herum über die Pläne des Hauses gebeugt. Ich sah zum Fenster hinaus auf Hügeln und Wiesen hinab, auf ein schönes Tal mit einem Dorf, das mittelalterlich anmutete. Ich meinte, dieses Zimmer gefällt mir sehr, da möchte ich arbeiten. Einer der Männer lachte und sagte: "Aber das ist doch das Gästezimmer". Dann kamen sie überein, dass das Haus eigentlich fertig war und rollten die Pläne zusammen. Sie zeigten mir das Haus, vor allem die Küche und erklärten mir begeistert die neuesten technischen Geräten darin. Der eine erwähnte noch den Keller, der noch aus alter Zeit stammte, „aus biblischer Zeit“ wie er sich ausdrückte. Sie übergaben mir die Hausschlüssel und verabschiedeten sich.

Da gelüstete es mir nach einem Apfel, und ich eilte hinab in den Keller. Licht drang durch ein Fenster und vor mir lagen herrliche Äpfel. Ein Säuseln war zu hören, der Hauch eines Windes zu spüren. Ich schaute mich um, aber da war niemand. Ich wollte nach einem Apfel greifen, da wurde der Wind stärker. "Hat wohl jemand die Türe offen gelassen", dachte ich. Der Wind wurde noch stärker und braute sich über den Äpfel zusammen zu einer undeutlichen Gestalt. Mir war nicht mehr geheuer und ich dachte an den lieben Gott mit dem Namen "Sein-oder-Nichtsein-das-ist-die-Frage" (II. Mose 3,14). Er hat doch einst den Menschen im Paradiese strikte verboten, Äpfel zu essen. Der Wind wurde zum Sturm und mir schien, als ob eine gespaltene Zunge zischte. Voll Schreck dachte ich an meine Grossmutter. Sie hatte doch immer gesagt: "Äpfel sind gesund!" Und schon spürte ich meine Grossmutter dicht hinter mir. Die sonst so kleine zierliche Frau erhob sich gross und mächtig über mich, als ob sie mich schützen wollte. - Der Spuck war weg! Und ich griff nach dem schönsten Apfel und biss herzhaft hinein!

Kauend stieg ich wieder die Treppe hoch in den ersten Stock. Da stand der grosser Tisch, darauf ein Papierblock und Schreibzeug. Ich setzte mich, um meine Gedanken aufzuschreiben. Ich schaute auf das Blatt, es war so weiss, abgrundtiefes Weiss schimmerte mir entgegen – weiss wie ein Leichentuch – mein Totenhemd!

Ich schaute auf. Es war dunkel geworden, ein paar Lichter schimmerten vom Dorf unten ins Zimmer herauf. Dann war schwarze Nacht und still - still. Mir wurde unbehaglich und ich wusste nicht, ob die Haustür abgeschlossen war oder nicht. Ich glaubte Geräusche im Haus zu hören und blieb vor Schreck sitzen. Nach einer Weile nahm ich allen Mut zusammen und dachte: Ich gehe mal schauen, denn hier zu sitzen und sich zu Tode zu ängstigen, bringt ja schliesslich auch nichts! Und schaute zur Tür. Ein heller Schein bewegte sich hinter der Tür. Es wurde immer heller und gleisend leuchtende Strahlen schoben sich durch die Ritzen, sodass der ganze Raum im hellsten Lichte stand. Der angebissene Apfel, der immer noch auf dem Tisch lag, funkelte wie ein Diamant. Die Strahlen vor der Tür tanzten und hüpften gar übermütig. Ich dachte: Das ist sicher die japanische Sonnengöttin oder vielmehr Sarah, die hinter dem Vorhang lacht!

Die Tür ging auf, ein heller Haarschopf schob sich durch die Tür, zwei braune Augen leuchteten mir wie Sterne entgegen und Dani, der Tänzer, schlängelte sich ins Zimmer. Angewurzelt blieb er stehen, schaute verständnislos um sich und fragte mich: „Du sag mal, fühlst Du Dich eigentlich wohl in diesem Blätterwald. Vor lauter Papier kommst Du ja nicht mehr zur Tür hinaus?“ Da sah ich es auch, vollgeschriebene Blätter, Ordner und Bücher aufgestapelt Türmen gleich vom Boden bis zur Decke! Ich schaute hinaus zum Fenster, wo eben die Sonne aufgeht.

"Unten im Wohnzimmer wäre es geräumiger, dachte ich". Ich könnte alles im gläsernen Schrank versorgen - da hätte alles Platz - und noch viel mehr. Als ob er meine Gedanken lesen könnte, griff er nach dem ersten Stapel und tanzte damit die Treppe hinunter. Ich griff nach ein paar Büchern unter jeden Arm und hüpfte lachend hinter ihm her.

japanische Sonnengöttin

Die japanische Sonnengöttin

 

Letzte Bearbeitung: 07.12.2017
Text und Design: Esther Keller-Stocker, Schweiz