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2. Judas der Denker
Jolande Jacobi hat das Bewusstseinssystem von C. G. Jung auf das Yin- und Yang-Symbol gelegt: Der weisse Teil entspricht hier dem Bewusstsein, der schwarze dem Unbewussten. Das Denken des Judas nimmt den hellsten Teil das grosse Yang ein. Die Empfindung oder Wahrnehmung enthält den kleinen schwarzen Punkt, das kleine Yin, die Wahrnehmung greift also auch unbewusstes Material auf, das das Denken nicht werten kann. Fühlen steht dem Denken gegenüber und ist unbewusst und völlig im Dunkeln des Unbewussten während die Intuition sich zwar im Dunkeln befindet, aber bereits wieder den hellen Punkt, das kleine Yang in sich birgt (2).
Nach der jungschen Psychologie (3) ist Judas der typisch extravertierte Denker: Extravertiert ist Judas, weil er sich an der Aussenwelt orientiert, an dem, was gerade geschieht. Hier orientiert sich Judas am Aufmarsch der begeisterten Menschenmenge. Seine haarscharfen Analysen zeichnen ihn als Denker aus. Diesem Denken steht die Hilfsfunktion "Wahrnehmung" (C. G. Jung nennt sie "Empfindung") zur Seite. Die Wahrnehmung des Judas nimmt das Verhalten der Menschenmasse so wahr, wie sie ist. Ein Teil der Wahrnehmung ist jedoch im Unbewussten.
Das Bewusstseinssystem nach C. G. Jung auf dem Yin-Yang-Symbol |
Die unbewusste Wahrnehmung kennt die Summe der Erfahrungen des Menschen bis hinab zu den Anfängen des Lebens. Judas erkennt den unbewussten Teil der Wahrnehmung, die Erfahrung, die seit Urgedenken auf die gleiche Weise funktioniert, die Erwartung und die Enttäuschung der Menge und die Reaktion der Obrigkeit. "Don't you see we must keep in our place?" Die Ursache der Massenbewegung ist das Auftreten Jesu mit seiner Gefolgschaft.
Wie auf dem Diagramm von Jolande Jacobi ersichtlich ist, schiebt sich das unbewusst intuitive Fühlen in die Wahrnehmung. Dieses intuitive Fühlen drückt sich in den Symbolen aus, die in seine Sprache einfliessen. Diese Symbole erreichen Judas, der sich als extravertierter Mensch von äusseren Bedingungen leiten lässt, aussen aus den herumschwirrenden Begriffen der Menschenmasse. Sie ängstigen ihn, weil er die Konsequenzen weiss. Sie ängstigen ihn aber auch, weil gleichzeitig sein Ich mit seinem Unbewussten konfrontiert wird. Das Unbewusste beginnt sich als Menschenmasse aussen seinem Ich zu zeigen. Deshalb auch seine grosse Emotionalität. Denn man kann sich ja auch fragen, was zwingt ihn mit Jesus zu gehen, wenn er sich fürchtet? Es ist das faszinosum-tremendum eines Seelenbildes, das Bild des Erlösers, das Judas wie die Menge auf Jesus projiziert.
Seelische Inhalte im kollektiven Unbewussten haben eine Dynamik, die mit der Energie des Meeres verglichen werden (4). Dieser Energie ist der Mensch ausgeliefert. Um der Gefahr nicht offen begegnen zu müssen, wird sie auf ein geeignetes Objekt projiziert. Als extravertierter Denker, der sich nur an objektiven, äusseren Gegebenen orientiert, muss Judas das innere Bild vom Erlöser verwerfen. Er greift Vorstellungen wie "myth from the man" auf, um sie als das Reden von Gott gleichzeitig zu verwerfen. Das intuitiv erfasste Seelenbild vom Erlöser verursacht Unbehagen, weil Judas die Folgen aussen wahrnimmt. Es weckt ungute Gefühle, Ahnungen und Ängste, die Judas veranlassen, Jesus zurückzuweisen.
Judas im 1. Auftritt von "Jesus Christ - Superstar" merkt, dass etwas von Jesus ausgeht, das alle in einen Freudentaumel versetzt. Dieser Freudentaumel hat ihn selber bei der ersten Begegnung mit Jesus auch erfasst, das spontane Gefühl "Das ist ER!" Was Judas damals bei der ersten Begegnung intuitiv ergriff, war nicht nur der Mensch Jesus, sondern auch der Archetyp des Selbst, der sich durch Jesus manifestiert, der Archetyp der „Ganzheit“.
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Interpretation von
Esther Keller-Stocker (Schweiz)
Text 1986, letzte Revision Februar 2014