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5. The myth from the man
5.1. If you strip away
the myth from the man
I can see, where we all soon will be. If you strip away the myth from the man, you will see, where we all soon will be. | Ich kann sehen, wo wir alle bald sein werden. Wenn du den Mythos vom Manne abstreifst. Du wirst sehen, wo wir alle bald sein werden. |
Judas ringt um das begriffliche Erfassen des Phänomens Jesu. Über die Intuition ergreift er den Mythos vom Manne, den er selber eigentlich sein sollte, den er aber auf Jesus projiziert und die Projektion bei ihm sogleich ablehnt. So wirft er Jesus vor: "if you strip away the myth from the man". Bei "strip away" schwingt etwas Erotisches mit: Jesus soll den Mythos vom Mann abstreifen, wie eine Dirne ihre Kleider abstreift. Judas projiziert damit das von ihm verdrängte Weibliche auf Jesus und zwar in der moralisch negativen Wertung des Patriarchats.
In dieser Wertung versteht sich das mental-patriarchale Ich als moralisch gut, wie es das numinose Überich, der Sonnengott oder der alttestamentlichen Gott Jahwe, vormacht. Jahwe steht für Recht und Ordnung, wird zum absolut Guten und Heilen. Alles Unrechte, Unmoralische wird dabei auf das Gegenüber projiziert, auf Volk, auf Völker, das als weibliche Grösse erscheint.
In unserem Text scheint Judas etwas von der Integrität des Weiblichen bei Jesus zu spüren. Und das sucht er mit "strip away" zu treffen. Der Mythos "the myth" gilt im patriarchal mentalen Bewusstsein als Nicht-Wahr im Sinne von "nicht den Fakten entsprechend". Judas delegiert Jesus in das Mythenreich. Und da Judas weiblich mit negativ wertet, vertritt Jesus auch das Weibliche, das Judas eigentlich in sich integrieren soll.
5.2. Der Messias unter dem Aspekt der Grossen Mutter
You have set them all in Fire. They think they've found the new Messiah!
Der Messias war der König. Er war Garant für Leben, Wohlstand und Frieden. Mit der Thronbesteigung läutete er einen neuen Weltenfrühling ein, eine neue Schöpfung, in dem sich alles Leben neu entfaltet. Doch der König stirbt und nimmt alles Leben auf Erden mit in den Tod. Dies war natürlich eine Tragödie, die beweint und beklagt werden musste. In der Totenwelt ist der König Totenrichter und Heilsbringer. Diese Art von König geht auf den Mythos vom sterbenden und auferstehenden Gott zurück, der unter der Dominanz der Grossen Mutter, der einstigen allumfassenden Gottheit, stand.
Diese ursprüngliche Vorstellung hat sich bis in Stellen des Alten Testament bewahrt. Dort heisst es im Thronbesteigungspsalm:
Er sprach zu mir: Ich nehme dich auf meinen Schoss - ich selbst habe dich heute geboren (Psalm 2, 7).
Im jetzigen hebräischen Text steht "ich habe dich heute gezeugt". Nach Hermann Gunkel passt dieser Satz aber eher zu einer weiblichen Gottheit (37). Der erste Satz: "Ich nehme dich auf meinen Schoss" gehört zur bekannten altorientalischen Symbolik, wonach der König auf den Knien der Göttin sitzt. Allgemein bekannt sind die Darstellungen des ägyptischen Pharaos auf den Knien der Isis, aber auch der assyrischen Grosskönig Assurbanipal sass auf dem Schoss der Isthar, der Königin von Ninive und trank von ihren Brüsten. In Psalm 2,7 ist die ursprüngliche Göttin durch einen Gott ersetzt.
Auch der biblische Jesus erscheint als Sohn der Grossen Mutter: Er wird vom Geist getauft, die in Gestalt einer Taube auf ihn hinabschwebt (Mk 1,10 parr). Die Taube war im ganzen Alten Orient das Begleittier der Grossen Mutter (38). Die Salbung des biblischen Jesus durch eine Frau gehört ebenfalls zum kultischen Akt der Mutterreligion (39). Die Evangelisten hatten dieses Ereignis nachträglich ihrer patriarchalen Gesinnung entsprechend abgewertet. Und es ist ebenfalls nicht verwunderlich, dass auch heutige Theologen dieses Ereignis herunterspielen.
6. And remember - I've been
your right man all along
And remember - I've been your right man all along. |
Und erinnere dich - Ich bin stets der Mann an deiner Seite. |
Judas kommt an ein Ende seiner Überlegungen. Doch Jesus reagiert nicht, ihm macht die Beurteilung Judas keinen Eindruck. So setzt Judas neu an und betont seine Loyalität gegenüber Jesus: Er sei stets der rechte Mann an seiner Seite. Ein gut biblisches Motiv: So verstehen die Jünger Jesu die Gleichnisse Jesu nicht, er muss sie ihnen erklären (Mk. 4,13), aber die Sorge, wer zur rechten Seite Jesu sitzen darf, das treibt sie von Anfang an mächtig um (Mk. 9,33-37).
Remember, I’ve been your right man all along ist ein neuer Ansatz in der Projektion des Judas auf Jesus. Jesus ist der richtige Mann, der dem Judas mit seinem Verhalten den Weg zu seiner Ganzheit zeigt. Remember ist das Stichwort zwischen mind und chest: der Weg des patriarchalen Ichs führt rückwärts ins kollektive Unbewusste, das Angst macht und tödlich enden kann: Remember stammt aus der romanischen Sprachlinie des Englischen, mittelenglisch remembren, altfranzösisch remembrer, das auf das spätlateinische Wort remorari zurückgeht, was to call to mind heisst. Das Substantiv von remember ist memory, das von der Sanskrit-Wurzel *smer stammt, was sich sorgen für, ängstlich sein, besorgt sein (to be care for, anxious about) bedeutet, ferner denken, erwägen und erinnern. Auf die *mer-Wurzel geht das griechische Wort mermeros (Angst, Besorgnis verursachen) zurück. Das Wort kann aber auch Unheil, Schaden, Übelstand (mischief) und unheilvoll, tödlich, giftig (baneful) bedeuten. Im Griechischen kommt das schwundstufige Wort mrtys Zeuge, Blutzeuge vor, das über das Kirchenlatein Martyrium (Blutzeugnis für den christlichen Glauben) vom Englischen martyr und im Deutschen im Begriff Marter (Qualen, Folter, Peinigung) übernommen wurde (40).
Judas versteht den Satz I've been your right man all along positiv im Sinne von Solidarität mit Jesus. Judas drückt seine Besorgnis um das Schicksal Jesu und der Jesus-Gruppe aus. "Right" meint aber auch Recht und "rechtes Bewusstsein" im patriarchalen Sinn. Und damit ist Judas Nachfolger alter Gesetzgeber, er folgt dem patriarchalen Prinzip. Und dieses Prinzip war schon immer eingebettet in einer Welt von Krieg und Zerstörung.
Steht Judas rechts, so Jesus links und damit vom patriarchalen Verständnis her auf der dunklen, unbewussten und falschen Seite. Judas wird mit seinem Anspruch "I've been your right man all along" zum eigentlichen Richter und Henker Jesu. Mit remember hat er einen Weg gefunden, von neuem die aktuelle Situation zu durchleuchten.
7. You have set them all
on fire
You have set them all on fire, they think they've found the new Messiah. | Du hast sie alle in Brand gesetzt. Sie denken, sie haben den neuen Messias gefunden. |
Etwas in Brand setzen gehört zu den ersten Leistungen des Menschen. Feuer machen hebt den Menschen über das Tierische hinaus. Doch mit dem konkreten "Feuer entfachen" wurde auch geistige Energie freigesetzt. Am Anfang nahm er die frei gewordene Energie in der Aussenwelt als Gespenster und Dämonen wahr. In einer späteren Zeit wird das Feuer von den Göttern geraubt, so stahl Prometheus (ein me-haltiger Name) das Urfeuer von den Göttern, um es den Menschen zu bringen. Zur Strafe wurde Prometheus an einen Felsen des Kaukasus gefesselt, und ein Adler frass täglich an der Leber, welche ihm jede Nacht wieder nachwuchs, bis Herakles den Vogel des Zeus mit einem Pfeil erlegte (auch ein Opfer) und den Unglücklichen von seiner Pein befreite (41).
Das Entfachen des Feuers ging einher mit einer Inflation des archetypischen Lichts. Diese Inflation wurde dann auch zum zentralen Thema unserer religiösen Wurzel, denn der alttestamentliche Gott gibt sich inmitten der Wüste zu erkennen als eifersüchtiger, glühend zorniger Gott. In seiner eifersüchtigen Glut erinnert er an einen Wüstengott, welcher im Hochsommer alles Leben zerstören kann, genauso wie heute die nukleare Technologie.
You set them all on fire drückt die Angst vor der inflationären Bedrohung aus, die vom Feuer ausgeht. Das Feuer kann den Einzelnen verzehren, aber auch ganze Völker. Die Befreiung von dieser Inflation erfolgt in der Integration des Lichtes im menschlichen Bewusstsein. Diese Integration kommt im Sonnenmythos zum Ausdruck wie ihn etwa Leo Frobenius beschrieben hat. Dieser Mythos fragt, wohin die Sonne am Abend geht und woher sie am Morgen kommt. Als Antwort stellt man sich in mannigfachen Variationen etwa so vor, dass der Sonnenheld vom Meeresungeheuer verschlungen wird. Im Bauch des Meeresungeheuers schneidet der Sonnenheld das Herz heraus oder macht ein Feuer. Damit befreit er sich und seine Begleiter. Das Ereignis ist wie die Begehung in den Höhlen die Erneuerung des Bewusstseins, ein Symbol der Wiedergeburt.
Die Sonne als archetypisches Feuer hatte im Alten Orient eine ungeheure Bedeutung. Mircea Eliade (42) zeigte, dass sich rationales Denken, Geschichte, Gesetz und Staat bei allen Völkern, bei denen der Sonnenkult eine überragende Rolle spielt, herausentwickelt hatte . Der Alte Orient war überflutet von Sonnengöttern und sonnenhaften Herrschern. Als ein Höhepunkt dieses Sonnenkultes erschien Jahwe auf dem Berge Sinai. Die Theologen, die diese Geschichte aufschrieben, suchen die Sonnensymbolik zu rationalisieren und historisch zu deuten.
Das Inflationäre der Theophanie auf dem Horeb (Sinai) erscheint im Bild der glühenden Wüste, das Land des Totes, des Jenseits, des Unbewussten, das im Gegensatz zur dunklen mütterlichen Geborgenheit als Symbol für den Grossen Vaters steht. Das Volk Israel stand völlig entblösst von der mütterlichen Geborgenheit der Willkür des Vatergottes gegenüber. Es war der Todesgefahr dieses Gottes ausgeliefert, die im Gegensatz zum Tod in der mütterlichen Geborgenheit keine Wiedergeburt kennt.
Mit dem gleichen Bild der Wüste wird das Inflationäre von you set them all on fire im Film dargestellt, das Licht, die Hitze als Ausdruck des Todes im Archetyp des Grossen Vaters. Und das mentale Bewusstsein hat sich wie gesagt mit diesem Licht so sehr identifiziert, dass es die Gefahr nur aussen sehen kann, hier im Volksaufmarsch und in der Behörde: I am frightened by the crowd. For we are getting much too loud. Doch nur die Nachtmeerfahrt der Sonne, das eigene Opfer, bringt die gelungene Wiedergeburt.
Feuer ist aber auch Symbol sexueller Erregung (43). Die Abspaltung des mentalen Bewusstseins von der Grossen Mutter hat auch eine Abspaltung der Erotik zur Folge. So bekämpft Jahwe seine Sexualität am Vorwurf der Unzucht an seinem Volke im Bilde einer Ehefrau. Oder im europäischen Mittelalter und vor allem zu Beginn der Neuzeit unterscheiden Christen das Weibliche zwischen ewig keuschen Mutter Gottes und den Hexen. Die verdrängte Erotik beginnt bei Judas mit my mind, das den Verstand eher als Partnerin zum Ich versteht und dann übergeht im Vorwurf: if you strip away. Als eigenständige Grösse tritt das Weibliche im Bild des Städtchens Nazareth auf. Nazareth im Bild eines Städtchens ist weniger im Ich-Bewusstsein integriert als das Männliche in Bildern wie God, Messiah und Father. So zwingt er unbewusst das Weibliche, das sich eigenständig in Nazareth offenbart, wieder unter die Herrschaft des Männlichen: Like your father carving wood entspricht dem Bild vom Grossen Vater als Ewiger Macher. Und was macht der Vater: Tables, Chairs and Oaken Chests. Chest ist aber das Symbol der Todesaspekt der Grossen Mutter, der Schlund des Meeresungeheuers oder der Eingang in die tiefen Höhlen im Bergesinneren, die zur Wiedergeburt führt. Und Judas kann dieses Oaken Chest gut patriarchalisch nur als vom Vater gemacht erkennen.
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Interpretation von
Esther Keller-Stocker (Schweiz)
Text 1986, letzte Revision Februar 2014