AUFERSTEHUNG, TEIL 2
2. DAS BILD "AUFERSTEHUNG"
2.1. ANORDNUNG
Im Bild tritt uns das Ereignis der Auferstehung als Dreieck aus dem dunklen Halbrund der Höhle entgegen. Die Höhle erscheint als eine in sich geschlossene, dunkle, verborgene Welt. Das Bild erinnert an die Höhlenmalereien im franko-kantabrischen Raum aus vorgeschichtlicher Zeit: Die Höhle stellt symbilisch den Mutterleib dar (4) und ist seit jeher der Rückzugsort des Bewusstseins: Aus dem Berg im Sinnbild des mütterlichen Urschosses wird uns das göttliche Licht geboren.
Das Dreieck ist Zeichen der christlichen Trinität. Doch in diesem Bild erfährt es eine andere Aussage: Das Dreieck symbolisiert die Geburt des Göttlichen, aber nicht als Geburt eines Kindes sondern als Geburt einer Idee. die Idee vom Auferstandenen. Die Idee kommt von Maria Magdalena. Es ist ihre Idee. Dabei sind ihre Augen in die Tiefe gerichtet, in die abgründige Finsternis, aus der ihr die Idee vom Auferstanden aufsteigt.
Das Dreieck der christlichen Trinität hat häufig ein göttliches Auge. In unserem Bild ist es Maria Magdalena, die das Göttliche in der Tiefe des Sarges sieht und den auferstandenen Jesus verkündet. Die Verkündigung erzählt von einer neuen Schöpfung der Grossen Mutter, von der Wiedergeburt aus dem Tode, vom ewig Wahren.
Das Bild erinnert auch an den Prolog des Johannes. Dort steht:
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Alles ist durch Ihn entstanden, und ohne Ihn entstanden ist nichts von dem, was besteht. In Ihm war das Leben, und das Leben war der Menschen Licht. Und das Licht scheint in der Finsternis, doch die Finsternis hat es nicht angenommen. (Johannes 1,1-5)
Der Prolog orientiert sich an der Idee von "Licht und Finsternis", das im Alten Orient von der persischen Religion übernommen wurde. Dem Licht ist das Gute zugeordnet, der Finsternis das Böse. Beato Angelico gestaltet im späten europäischen Mittelalter Licht und Finsternis in ihrer urtümlichen Art, nämlich das Licht ist aus der Finsternis geboren, aus dem Urschoss der Mutter. Im Gegensatz zum Johannesprolog entspringt hier der lichte Logos dem mütterlichen Urschoss.
Der Auferstandene als Logos ist aber nicht allein. Denn ohne den menschlichen Geist kann er nicht wahrgenommen werden, genauso wenig wie die Schöpfung. Und so wird er begleitet von den vier Frauen und dem Engel.
Der Auferstandene erscheint im lichten Gewand wie der Engel. Die Farbe ihrer Gewänder bilden mit der Farbe des Sarges eine Einheit - eine Dreiheit von Mutter und ihren beiden himmlischen Söhnen, dem Auferstandenen und dem Engel. Der Sarg symbolisiert wie die Höhle den verschlingenden und wiedergebärenden Aspekt der Grossen Mutter. Maria Magdalena, die über dem Sarg steht, repräsentiert den menschlichen Aspekt der Grossen Mutter. Maria Magdalena vertritt den Geist-Aspekt dieses Archetyps und ist demnach eine Inkarnation der Sophia (hebr. Chokmah).
Doch diese Frau hat in einem patriarchalem System keinen Platz und wird zum Stein des Anstosses, denn erst mit Petrus, der nur am Rande in das Geschehen involviert ist, findet dieses Ereignis in der Gesellschaft überhaupt Beachtung, und erst durch Paulus, der mit dem Geschehen überhaupt nichts zu tun hatte, erhält es seine religiös zentrale Bedeutung. - Beato Angelico gestaltet Maria Magdalena nach dem platonischen Ideal als die Reine und Schöne, deren Verklärtheit wir auch sonst in seinen Marienbildern finden.
Trotz der patriarchalen Umdeutung bleibt Maria Magdalena die Trägerin der Gottesidee. Auch die Evangelisten bemühen sich, Petrus den Vorzug vor Maria Magdalena zu geben (5). Denn eine Frau ist für den Mann auch Projektionfläche seiner unbewussten Seelenhälfte (6). Die Frage ist, wieweit ein Mann seine weibliche Seelenhälfte in sein Ich-Bewusstsein integriert hat. Je grösser das Gefälle zwischen seinem männlichen Ich und der unbewussten weiblichen Seelenhälfte ist, umso mehr erhält die Frau mythische negative Züge (7). - Fra Beato Angelico dagegen zeigt mit seinem Bild ein differenziertes Frauenbild.
Im Bild stellt der Sarg die Grundlinie des Dreiecks dar, er ist also die Bedingung der Auferstehung. Nicht Gott ist es, der Jesus zur Auferstehung verhilft, sondern die Grosse Mutter. Das heisst: ohne Sarg keine Auferstehung. Nur wer sich dem mütterlichen Todesaspekt aussetzt, wird wiedergeboren (8). In unserem Bild ist es einzig Maria Magdalena, die in die gähnende Leere des Sarges schaut, in die unendliche Finsternis des Todes des mütterlichen Urschosses. Wenn sie so in die Tiefe des Sarges schaut, möchte man meinen, ihr Gesicht müsste sich verdunkeln. Doch ihr Antlitz erstrahlt im Licht. Und ihr schneeweisses Kopftuch wird zum leuchtenden Gegenpol zur abgründigen Schwärze der Tiefe - und zur Schwärze der Kutte, die Petrus trägt. Das reine Licht in weiss wirkt wie ein Prisma, aus dem sich die Gestalt des Auferstandenen erhebt und als Geist über dem Haupte der Maria schwebt. Maria Magdalene bildet mit dem Auferstandenen im Himmel, dem Sarg als Unterweilt den Weltenbaum. Sie ist der Mittelpunkt der Hauptachse zwischen Himmel und Erde.
Der Auferstandene gehört zum Sarg wie das Kind zu seiner Mutter. Doch vertritt er auch Gott, der nach judenchristlicher Tradition im Himmel wohnt. Der Himmel ist hier die obere Seite der Höhle, die obere Hälfte des mütterlichen Urschosses. Der Auferstandene gehört also zum Archetyp der Grossen Mutter. Es ist dann die patriarchale Theologie - vorab der Startheologe Paulus - der Christus vom Gott Vater auferstehen lässt! (Gal. 1,1).
Maria Magdalena und der Auferstandene stellen ein Paar dar, das Urpaar in seiner ewig göttlichen Umarmung. Die Umar-mung wird nur sachte durch die Schleifen ihrer Kleider angedeutet. Als Ritus finden wir die Vorstellung von der göttlichen Vereinigung mit den Menschen überall auf der Welt. In altägyptischen Texten wird die rituelle Vereinigung des Gottes Amun mit der Königin zur Zeugung des Pharaos beschrieben (9). Im Alten Testament wird die Vereinigung von himmlischen Wesen mit einer irdischen Frau zwar negativ be-urteilt , doch gibt es auch Erzählungen, wonach Jahwe sich selber mit einer irdischen Frau verbindet und mit ihr den lang ersehnten Auserwählten zeugt (10). Auch im Neuen Testament wird die göttliche Zeugung des Jesuskindes erwähnt (11). Das Bild von Fra Beato Angelico erzählt uns aber von einer Kopfgeburt - Eine Kopfgeburt, die ganz anders verläuft, als uns etwa von Athene und Ares überliefert ist: Athene und Ares sind nämlich widernatürlich aus dem Kopf des Zeus entsprungen. Doch Zeus musste zuerst die Mutter der Kinder, die Göttin Metis (Weisheit), verschlingen, um die Kinder mit Hilfe der Axt des Hephaistos aus dem eigenen Kopf zu lassen. Neben der Gewalt an Metis musste Zeus sich also selber Gewalt antun. Ganz anders in unserem Bild, nicht durch Gewalt und Verbrechen wird der neue Gott geboren, sondern durch die Hingabe eines weiblichen Menschen. In ihrer Hingabe überwindet sie das Grauen des Todes und wird belohnt durch einen neuen göttlichen Inhalt. Dies ereignet sich, wie oft Göttergeburten in der Höhle, im Urschoss der Mutter.
Paulus von Tarsus, von dem uns die ältesten Schriften des Neuen Testaments überliefert sind, verdrängte Maria Magdalena als erste Zeugin der Auferstehung ganz bewusst (I. Kor. 15,3-10) (12). Dies, weil in seiner patriarchalen Logik Frauen nicht als Zeugen auftreten können. Bei den Evangelisten Matthäus und Lukas tritt anstelle der "Kopfgeburt" des Auferstandenen, die Geburt des Jesuskindes. Die Mutter Jesu ersetzt damit die Leistung von Maria Magdalena. Die Evangelisten verweisen die Frauen auf ihren Platz, auf den Platz der Mutter und Gebärerin.
2.2. ZAHLEN
Die Frauen sind im Bild links angeordnet. Links signalisiert die unbewussten Seite, die unbekannte Seite des Patriarchats. Das Patriarchat orientiert sich an der rechten Seite, an der Petrus kniet. Er ist der einzige, der im Patriarchat als Zeuge zugelassen ist. Links, lateinisch sinister, ist gleichbedeutend mit dunkel, unheimlich. Links ist der dunkle Fleck im patriarchalen Bewusstsein, ein Tabu. Doch wie es Sigmund Freud ausdrückt, ist tabu auch heilig (13). Andererseits vertreten die Frauen im Bild Menschen - Menschen, wie man sie überall trifft. Einerseits repräsentieren sie im Bild die ewig sich wiederholende irdische Gebärfähigkeit der Frauen, aber auch den geistigen Aspekt des Neuen, das sich aus vergangenen kolletiven Inhalten zu neuen Ideen formieren.
Im Bild sind sie zu Viert: Vier ist die Zahl der Ganzheit aber auch die Zahl des kollektiven Unbewussten. Es ist ein anderes Symbol für das Grosse Runde, ein Aspekt der Grossen Mutter. Und so stellen sie im Bild auch die weibliche Ganzheit dar, die als dunkler Bereich aus dem patriarchalen Bewusstsein verschwindet (14).
Von der oberen Mitte des Bildes nach rechts sind die drei männlichen Figuren in einer Gerade angeordnet. Im Gegensatz zu den vier Frauen sind zwei der männlichen Figuren Geistgestalten. Die Dreizahl im Bild erinnert an die christliche Trinität von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist. Doch auch diese Vorstellung ist hier abgewandelt als Gott, himmlischer Bote und irdischer Zeuge. Die Köpfe der männlichen Gestalten erscheinen als Punkte einer Geraden. Sie symbolisiert die patriarchale Sukzession vom Höchsten zum Tiefsten, vom Auferstandenen über den Engel zu Petrus. Das Patriarchat sieht nur den Mann als das Höchste, als Gott, als Auferstandener. Doch der Auferstandene ist aus dem Kopf der Maria Magdalena entsprungen und ohne sie nicht vorhanden.
Im Bild erfährt Petrus durch Maria Magdalena die Auferstehung. Er schaut auch nur auf sie und ebenso geht eine subtil angeordnete Gerade durch den Körper Maria Magdalenas, den Engel und Petrus. Da diese Gerade durch die Körper geht, repräsentiert sie die Gefühlsebene. Gefühl und Frau bedeutet für den patriarchalen Mann einmal Sexualität, Konflikt und Strafe, andererseits verkörpert die Frau die visionär begabte weibliche Seelenhälfte des Mannes und berührt ihn. So standen prophetisch begabte Frauen schon immer beim Anfang einer Neuorientierung an der Spitze der Bewegung (15). - Hier zeigt sich dies in der Längsachse in der Mitte des Bildes: Maria Magdalena bildet den Mittelpunkt der Hauptachse, sie ist die Verbindung von Himmel und Unterwelt, das Zentrum der Welt. Die Hauptachse mit dem Auferstandenen, Maria Magdalena und dem Sarg bilden die eigentliche Trinität
Wie erwähnt kennzeichnet die Zahl Drei auch die Längsachse in der Mitte des Bildes durch den Sarg, Maria Magdalena und dem Auferstandenen. Die Säule in der Mitte stellt die Weltachse dar, das Zentrum der Welt. Es wurde normalerweise durch einen heiligen Baum dargestellt. In diesem Bild stehen der Auferstandene, Maria Magdalena und der Sarg für den Weltenbaum und bilden die eigentliche Trinität Durch sie erfährt Petrus die Auferstehung. Er schaut auch nur auf sie und ebenso geht eine subtil angeordnete Gerade durch den Körper Maria Magdalenas, den Engel und Petrus. Da diese Gerade durch die Körper geht, repräsentiert sie die Gefühlsebene. Gefühl und Frau bedeutet für den patriarchalen Mann einmal Sexualität, Konflikt und Strafe, andererseits verkörpert die Frau die visionär begabte weibliche Seelenhälfte des Mannes und berührt ihn. So standen prophetisch begabte Frauen schon immer am Anfang einer Neuorientierung an der Spitze der Bewegung.
Auch die Gesamtheit des lichten Teils des Bildes ist als Dreieck angeordnet. Das Dreieck repräsentiert die Offenbarung der Grossen Mutter und die Geburt ihres Sohnes. In diesem Sinne erinnert das Bild an das Fruchtbarkeitssymbol der altorientalischer Muttergottheit.
Die beiden im neben stehenden Bild angefügten Amulette zeigen die Fruchtbarkeitssymbole, in denen die Aspekte der Grossen Mutter, Gesicht, Brüste und Scham eingeritzt sind.
Aus Othmar Keel, Christoph Uelinger: Göttinnen, Götter und Gottessymbole, S. 63, Abb. 48, 49.
Das Dreieck im Bild von Fra Giovanni ist aber weit differenzierter als die altorientalischen Abbildungen. Im Zentrum steht der Geistaspekt der Grossen Mutter. Dieser ist auch in den Amuletten wahrnehmbar durch den Kopf der Aschera, aber die Betonung liegt in der primären Fruchtbarkeitssymbolik. Im Bild von Fra Beato Angelico ist die primäre Fruchtbarkeit der Frauen zwar offensichtlich, aber der Geistaspekt wird betont, in seiner höchsten Vollendung durch Maria Magdalena in der Vereinigung mit dem Auferstandenen, aber auch durch die drei Frauen und ihren Bezug zum Engel, ihrem Animus, von dem sie die Botschaft erhalten.
Alle weiblichen und männlichen Gestalten zusammengezählt, ergeben die Zahl 7. Die Zahl Sieben hat eine Sonderstellung: Die sieben Zwerge hinter den sieben Bergen bei Schnweewitchen, die sieben Weltwunder, die sieben Tage einer Woche, die Erschaffung der Welt in sieben Tagen im biblischen Schöpfungsbericht und ein Geheimnis hat 7 Siegel (Offenb. 5,5) usw. Die Zahl Sieben war für Augustin die Zahl der Totalität, für universitas (Gesamtheit, Weltall) und perfectio (Vollkommenheit). Diese Totalität liegt hier in der Höhle, im göttlichen Mutterschoss begründet (16). - Im patriarchalen Denken steht Drei für Geist und Denken, Vier für Körper und Seele. Doch hier tritt die Eine, Maria Magdalena, aus der Frauengruppe heraus und symbolisiert mit dem Auferstandenen den Geistaspekt der Grossen Mutter.
2.3. WENN HÄNDE SPRECHEN
Betrachtet man die Hände der einzelnen Figuren, so fällt auf, dass die drei Frauen neben Maria Magdalena ihre Kleider oder das Salböl festhalten. Ganz anders Maria Magdalena: Um den toten Jesus zu finden, überwindet sie Angst und Schrecken und berührt mit der einen Hand den Sarg, die andere Hand hält sie an die Stirn. Man weiss nicht, will sie die tiefsten Winkel ergründen oder sich des ihr entgegenschlagenden Lichtes erwehren. Auf alle Fälle sind ihre Hände frei. Die Situation der abgebildeten Frauen erinnert an das Gleichnis der zehn weisen und törichten Jungfrauen, die dem Bräutigam nachts entgegenkommen:
Dann wird das Reich der Himmel zehn Jungfrauen gleich sein, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf aber von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nämlich nahmen ihre Lampen und nahmen kein Öl mit sich. Die klugen dagegen nahmen ausser ihren Lampen Öl in ihren Gefässen mit. Doch als der Bräutigam ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber erscholl ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam! Gehet hinaus ihm entgegen! Da erwachten alle jene Jungfrauen und schmückten ihre Lampen. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebet uns von eurem Öl, denn unsere Lampen verlöschen! Da antworteten die klugen: Es möchte für uns und für euch nicht reichen; gehet vielmehr zu den Krämern und kaufet euch! Während sie aber hingingen, um zu kaufen, kam der Bräutigam; und die welche bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Türe wurde verschlossen. Später kamen dann auch die übrigen Jungfrauen und sagten: Herr, Herr, öffne uns! Er aber antwortete und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Darum wachet! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde. (Matt. 25,1-13)
Unser Bild scheint diesem Gleichnis eine neue Interpretation zu geben. So stellt die Grabeshöhle das Himmelreich dar. Die bei Matthäus erwähnten weisen Jungfrauen werden hier im Bild zu törichten, weil sie pflichtbewusst die vollen Öldosen bei sich tragen, um sich an ihnen festzuhalten, während Maria Magdalena diese Pflicht vergass! Und trotz oder gerade wegen diesem Mangel ist sie als einzige dem himmlischen Bräutigam nahe.
Nichts in den Händen hat auch der Mönch. Demütig kniet er am Boden, die Hände über die Brust gelegt und schaut auf Maria Magdalena. Seine Hände sind genauso gefaltet, wie es der Künstler in einem anderen Bild, dem Bild „die Verkündigung“ anbringt. Dort faltet Maria die Mutter Gottes als Zeichen des Gehorsams und der Demut genauso ergeben die Hande vor der Brust.
Im Bild "die Verkündigung" empfängt die Mutter Gottes wie die drei Frauen am Grab vom göttlichen Boten die frohe Botschaft ihrer Empfängnis. Ganz anders Petrus, er erhält die Botschaft nicht von einem göttlichen Gesandten und auch nicht vom Auferstandenen selber, sondern von Maria Magdalena.
Petrus kniet da in seiner Mönchstracht, aussen der schwarze Mantel, darunter das helles Hemd. Das Hemd erinnert an das Gewand der zwei himmlischen Gestalten. Die Hemden der Geistgestalten erscheinen wie aus Marmor gemeisselt, aus Marmor wie der Sarg.
Marmor entsteht durch metamorphe Umwandlung von Kalksteinen, Dolomiten und anderen carbonatreichen Gesteinen unter Einfluss von hohen Druck und hoher Temperatur infolge hoher Sedimentsauflast und/oder tecktonischer Versenkung oder durch Aufzeitung im Kontakt mit Gesteinsschmelze (17).
Marmor steht für Alter, Schönheit und Dauerhaftigkeit. Die Entstehung des Marmors weist auf Kampf und harte Arbeit. Marmor ist Stein, kalt und hart. Als Symbol ist es ewig und weckt im Menschen starke Gefühle, die in Liebe oder im Krieg ausgetragen werden. Der Weg der Erkenntnis ist steinig, das Erbe reich. Marmor steht auch für Sturheit und für falsche Meinung. Man wähnt sich am Ziel, doch der Weg ist hart und weit (18).
Das Hellste im ganzen Bild ist wie gesagt das Kopftuch der Maria Magdalena. Es ist die eigentliche Provokation des Bildes, denn Maria Magdalena ist hier das eigentliche Oberhaupt der Kirche. Petrus in seiner schwarzen Mönchskutte unter der das starre marmorne Gewand hervorlugt, repräsentiert dagegen die traditionelle Kirche, die patriarchalen Prinzipien, die starren Dogmen und den Tod.
Dies kommt auch im Engel zum Ausdruck, der in theatralischem Gehabe auf dem Sarg sitzt und den Frauen doziert. Seine Hände unterstützen das grosse Ereignis, das er ihnen kundtut. Seine Haltung, seine Flügel verkünden Dynamik. Doch in seiner marmorn hellen Gestalt sieht er dem Sarg ähnlich, ist Stein - uralt, kalt und beständig, ein ewiges Symbol. Er ist eine typische Animusfigur. Als solcher verkörpert er die patriarchale Realität der Frauen, aber auch ihre geheimsten Wünschen. Jung, hübsch und akademisch gelehrt ist er. Seine Erotik verhüllt er im reichen Gewand, nur die Spitzen seiner Füsse lugen hervor. Seine Füsschen sind in rote Pantöffelchen gehüllt und erinnern an Schlangenhaftes. Denkt man an die Schlange, die Eva im Paradies begegnete, so ist hier das Schlangenhafte zurückgebildet. Es ist ein Signal des Verbotenen und Sündhaften. So bekommen die Frauen die Füsschen gar nicht zu sehen. – Er sitzt da im wallenden Kleid und verkündet den Frauen in überlegenen Gestik, was Maria Magdalena unmittelbar neben ihnen erfährt.
Im Gegensatz zur weiblichen Weichheit der Engelsgestalt ist der Auferstandene ein Mann. Sein Körper ist natürlich ebenfalls verhüllt, doch sein Leib ist betont hingebungsvoll den Frauen zugewandt. Ein züngelndes rotes Füsschen in herzigem Pantöffelchen unter dem Gewand hat er gar nicht nötig. Hingabe ist die Botschaft, die er den Frauen verkündet, aber nicht durch überlegenes Dozieren sondern durch seine Hingabe. In der rechten Hand hält er den Hirtenstab als Zeichen der Macht - Einer Macht, die die Schwachen vor dem Starken schützt.
In der linken Hand hält er die grüne Feder, die Feder der Maat, der altägyptischen Weisheits- und Gerechtigkeitsgöttin. Im alten Ägypten war sie die mächtige Göttin der kosmischen Weltordnung. Sie fütterte den ägyptischen Pharao mit der "Ordnung des Kosmos". Nun ist der Auferstandene der neue ewige Pharao und Träger der "Weltordnung". Die grüne Farbe der Feder lässt aber auch an Osiris denken, dem grünen Gott, in dessen Tod Leben und Fruchtbarkeit entsteht. Die grüne Farbe findet sich wieder in den Kleidern der Frauen und signalisiert ihre fruchtbare Verbindung zum ewigen Gott, zum göttlichen Sohn der Grossen Mutter.
Angaben
- ⇑ Erich Neumann, die Grosse Mutter, S.56f.; Vgl. auch Marija Gimbutas, die Sprache der Göttin, S. 99ff.; Barbara G. Walker, "Das geheime Wissen der Frauen" unter "Höhle"
- ⇑ Elisabeht Schüssler-Fiorenza u.a. in «Jesus und die verschwundenen Frauen - eine Spurensuche» auf Youtube
- Marie-Theres von Franz in „der Mensch und seine Symbole“, S. 177f.
- ⇑ Vgl. etwa die Prophetin Kassandra von Troja. Sie wird in Fachkreisen als mythische Figur wahrgenommen, obwohl sie mit dem Untergang Trojas, das als historisch gilt, in Verbindung steht. Demgegenüber gilt der Prophet Zarathustra als historische Figur, nur kann MANN nicht genau sagen, wann er gelebt hatte: Lebte er 1768 v. Chr. oder 1000 v. Chr. oder doch eher 600 v. Chr.? Man weiss nur, dass seine Mutter – der Legende nach! – aus Raga stammte! Beide Namen aus wikipedia: «Kassandra» vom 19.05.2019, «Zarathustra» vom 14.05.2019
- Erich Neumann, die Grosse Mutter, S. 161
- ⇑ Zur Zeugung und Geburt des ägyptischen Pharao "Die Geburt des Gottkönigs" - Studien zur Überlieferung eines altägyptischen Mythos", bearbeitet und kommentiert von Helmut Brunner, 1964
- ⇑ Negativ: I. Mose 6,1-4. Positiv: I. Mose 18; Richter 13; I. Samuel 1, vgl. meine Interpretationen zu I. Mose 18 und II. Mose 3
- ⇑ Matth. 1,18; Luk. 1,26ff.
- ⇑ Vgl. meine Aufsätze zu «Römer 3,24-26» und
«Paulus und die Frauen am Grab» - ⇑ Sigmund Freud, Traumdeutung, S. 13
- ⇑ Erich Neumann, die Grosse Mutter, S. 211
- ⇑ Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige, S. 431f.
- ⇑ Manfred Lurker, Die Botschaft der Symbole, S. 308,
Wikipedia: Sieben - ⇑ Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Marmor
- ⇑ NachTraumdeutung
Esther Keller-Stocker, Aufsatz von 1986,
Letzte Revision von Text
und Gestaltung Jan. 2020