MARIE E. P. KÖNIG
III. Kapitel: Das Prinzip der Zeit
1. Die Anordnung nach den
drei Mondphasen
Der Mensch, der sich im Raum orientierte, wird auch erkannt haben, dass er im Strom der Zeit stand. Die Sonne, die ihm die Richtung gewiesen hatte, fixierte zugleich einen Zeitabschnitt, den Tag.
Für die Einteilung der Zeit in längere Perioden bot sich als Massstab der Mond an. Sein kontinuierlicher Wechsel stand allen Geschöpfen vor Augen, aber nur der Mensch war fähig, ihn bewusst zu erleben und aus den vielen ähnlichen Formen ein bestimmtes Prinzip zu erfassen, das sich regelmässig wiederholte. Er sah also nicht nur die 27 Mondformen, sondern erkannte das Strukturbild des zunehmenden, vollen und abnehmenden Mondes und erlangte damit den allgemeinen Begriff der drei Mondphasen. Sie ermöglichten die Gliederung des Zeitablaufs nach dem Schema der Drei.
Mit der Drei war ein Schema entstanden, das aus der Tiefe menschlicher Existenz kommend, in allen Formen kultureller Entfaltung nachzuspüren ist. Es bestimmte auch das geistig-seelische Erleben und die entsprechenden Handlungen. Das begann mit vagen Erscheinungsformen im Altpaläolithikum und lässt sich kontinuierlich verfolgen.
Im Mittelpaläolithikum mehren sich die Spuren der Drei im religiösen Brauchtum. Bei den Bestattungen in La Ferrassie, Dép. Dordogne, hat die Drei offensichtlich als Ordnungsfaktor mitgewirkt. Der schon angeführte Schalenstein ist ungefähr dreieckig. Drei mal drei kleine "Hügel" in der Nähe der Bestattungen sind vielleicht Reste religiöser Zeremonien, und drei besonders schöne Silexwerkzeuge lagen über einer Bestattung in der gleichen Ausrichtung wie der Tote. F.M. Bergounioux hebt die ausserordentliche Bedeutung dieser kulturellen Manifestationen hervor, die er im Zusammenhang mit dem Mondwechsel verstanden wissen will.
Drei tief eingeritzte parallele Linien in der
Kulthöhle "Malesherbes", Dép. Loiret
In der alten ägyptischen Kultur wurde der Mondgott auch "der Schreiber" genannt, denn durch die drei wechselnden Lichtgestalten "schrieb" er die Zeitordnung an den Himmel. Ähnliche Beobachtungen können auch die Gläubigen in den Kulthöhlen der Ile-de-France bewegt haben, nur mussten die Ausdrucksformen dafür erst gefunden werden. Die Genauigkeit der drei verschiedenen Mondformen fehlte noch, aber das Grundprinzip der drei dürfte vorhanden gewesen sein, als Kommunikationsmittel standen die geraden Linie und das Schälchen zur Verfügung. Daraus liessen sich zahlreiche Figuren bauen, die, obwohl äusserlich verschieden, doch dem gleichen Gedanken entsprachen. Die Überlieferung konnte sich der einen oder anderen Form bedienen, ohne dass es, wie Positivisten annehmen, zu einem Bruch in der Überlieferung des Gedankens kam, weil die Ausdrucksform wechselte.
Am Anfang der geistigen Genese muss eine allgemeine Orientierung gestanden haben, aus der sich der universale Begriff ergab. Zum Gedankeninhalt des primären Weltbildes gehörte, die ihm innewohnende Macht. Ihr fühlt sich der Mensch ausgeliefert. Daraus ergab sich ein Gefühl der Abhängigkeit, aber auch der Verbundenheit und der Verpflichtung. Die Begegnung mit dieser unsichtbaren Kraft erforderte ein besonderes Verhalten, den Kultus, und den von der alltäglichen Welt abgeschlossenen symbolischen Raum, den Kultraum. Um das Unsichtbare ansprechbar zu machen, es zu vergegenwärtigen, musste es als Kultbild symbolisch dargestellt werden. Die ältesten Fundgegenstände sind Sphäroiden. Sie sind keine Werkzeuge und mussten, so nimmt man an, kultischen Zwecken gedienten haben. Die ältesten stammen aus einer altsteinzeitlichen Kultur, dem Acheuléen, die vor etwa 300 000 Jahren begann.
Wie leicht könnte man annehmen, dass diese Rillen einem praktischen Zweck gedient hätten, dass darin vielleicht Werkzeuge geschliffen wurden, doch dieser Annahme widerspricht die Tatsache, dass sie auch an anderen Kultplätzen zu finden sind, z.B. in roter Farbe ausgeführt vor der Stirn des grössten schwarzen Stierkopfes im "Saal der grossen Stiere" in der jungpaläolithischen Kulthöhle Lascaux, Dép. Dordogne. (S. 146-151)
Drei parallele rote Linien vor der Stirn des grössten schwarzen Stierkopfes im Saal der grossen Stiere, Lascaux
2. Die Bildsymbolik des Jungpaläolithikers
Kopiert aus www.la-vieille-auberge.com/.../ lascaux/images/lascaux.jpg
Was hat die Drei beim Stierbild zu suchen? Die Frage führt wieder zur Beobachtung zurück. Während die Raumordnung unanschaulich war, bot der Mond dem Auge sichtbare Formen. Man konnte ihn aber nicht mit der Hand erreichen, um seinen wahren Charakter zu ergründen, dafür war der Phantasie Tür und Tor geöffnet. Alle Zeiten dachten sich Vergleiche aus und schufen lunarsymbolische Bilder. Der Jungpaläolithiker machte den Anfang damit.
Im Laufe des Jungpaläolithikums wurden viele Vergleiche erdacht und entsprechend zahlreiche Tiere gezeichnet, die die Wölbung der Kulthöhlen überziehen. Im Saal der grossen Stiere ist der grösste Stierkopf mit "harfenförmig" gedrehten Hörnern wiedergegeben, die rot umrandet sind, so rot wie das Ideogramm vor der Stirn. Diese Anordnung der beiden Hörnern entspricht der Form der gegenstündigen Mondbogen. Sie ist auch vielen jungpaläolithischen Kultbildern festzustellen. Das führte dazu, dass sie wie "gedreht" auf den von der Seite gezeigten Tierkörpern stehen. So zerstörte die Bedeutung den natürlichen Zusammenhang der Körperteile Mit der Zeit wurden auch noch die Hufe der Tiere zur Aussage herangezogen, und auch dann "verdrehte" der Gedanke die natürliche Sicht.
Marie E. P. König kommt nun auf den Fisch zu sprechen, der im jungpaläolithischen Kult eine Rolle gespielt hatte. Die Fische wurden als Opfergaben ins Wasser versenkt. Ein solcher Kultplatz war die Höhle Niaux in den Pyrenäen. An den Wänden der grossen" Rotunde" befinden sich die bekannten Bisonbilder, und in den nassen Lehm des Bodens wurden Fische eingeritzt. Sie stehen damit im räumlichen Zusammenhang mit den Gewässern der Tiefe, die als Quellen wieder zutage traten. Glaubte man im Wasser den Weg gefunden zu haben, der die Gestirne vom "Untergehen" im Westen zum "Aufgehen" im Osten führte, bezeichnete es den Ort, wo der Mond drei Nächte weilte und sich das Wunder der Erneuerung ereignete? Die Bisonstiere sind in Niaux durch Pfeile als sterbend gekennzeichnet, aber auf dem Boden konkretisieren die Fische den Gedanken vom Wasser, das wieder zum Licht emporführt.
Im Jungpaläolithikum sind oft Fische dargestellt worden, und sie können der frühen Zeit entsprechend den allgemeinen Begriff des Chthonischen angegeben haben. Da gleich dem Stierbild auch die Dreiheit den Gedanken des Mondzyklus wiedergab, konnte das Bild des Fisches mit dem Ideogramm verschmelzen.
Die Tierbilder sind mit dem Ende des Jungpaläolithikums nicht aus dem Kult verschwunden. Die Gestirne waren allen Menschen heilig, und die Kulturen am Mittelmeer bevorzugten die symbolische Darstellung im Bild. Frobenius hat die Kontinuität der Stierbilder bis nach Ägypten verfolgt, wo der "Apisstier" Zeugnis von diesen alten Zusammenhängen ablegt.
Es blieb dabei noch eine gewisse Lücke in Vorderasien bestehen, die sich durch neue Grabungen in Südanatolien zu schliessen beginnt. In Catal Hüyük grub J. Mellaart eine stadtähnliche Siedlung aus, die schon in vorkeramischer Zeit angelegt wurde und zahlreiche Kultstätten enthielt, die vom Stierkult zeugen. Mellart schreibt, dass sich nirgendwo die konservative Geisteshaltung der Menschen besser zeigte als dort, wo Jägerkulturen sich mit Bauernkulturen mischten und das geistige Erbe des Jungpaläolithikers stark in Erscheinung tritt.
Stier in Catal Hüyük, kopiert aus www.efodon.de
Der anatolische Stierkult leitet über zu den Religionen des alten Mesopotamien, denen noch immer der Stier ein religiöses Symbol bedeutet.
Ur war das Zentrum der Mondverehrung, dessen Symbol auch dort der Stier war. Wir haben einen sumerischen Text, der die Bedeutung dieses Bildes erklärt.
Da man die Zeit am Mondwechsel ablas und die Mondbogen mit Hörnern verglich, heisst es, dass der Mond der "Himmelsstier" sei, der mit den goldenen
Hörnern die Zeit bestimmt.
(S. 151-156)
3. Die Drei im Graphischen
Noch vor dem Ende des Jägertums trat in Mitteleuropa die bildliche Aussage in den Hintergrund. Dafür sind die bemalten Kieselsteine, die vermehrt auftreten Zeuge.
Bemalte mondförmige Kiesel aus der Kulthöhle Mas d'Azil, Ariège
Bei der Auswahl der Kieselsteine ging der Mesolithiker von bestimmten Gedanken aus und suchte entsprechend geformte Steine. Er kannte noch die Bezeichnung der Halbmonde als Hörner, denn er wählte einen Stein, der wie ein Horn aussah, und betupfte ihn mit roter Farbe, die leider recht verschwommen ist. Auch das Bild des Halbmondes war zu finden, ihm wurden drei gerade Linien aufgezeichnet.
Drei parallele rote Linien vor der Stirn des grössten schwarzen Stierkopfes im "Saal der grossen Stiere" in Lascaux
In den meisten Fällen wurde auf äusserliche Ähnlichkeit, also auf bildhafte Formen verzichtet, die graphischen Zeichen bedurften dieser Ähnlichkeit nicht. Die Idee hatte Zahlenwert, und der Ausdruck konnte mit Drei parallele rote Linien vor der Stirn des grössten schwarzen Stierkopfes im "Saal der grossen Stiere" in Lascaux den Mitteln der alten Zeit in Form von Strichen oder Punkten geschehen. Es sind besonders zahlreiche Kiesel gefunden worden, auf denen Punkte oder Striche zu dritt stehen.
Das Dreieck war eine schöpferische Idee, die in den Begriffsschatz der Menschheit einging. Als die lunarsymbolischen Bilder verschwanden, überdauerte dieses Ideogramm. Es wurde vielfältig angewendet und auch zum Ornament zusammengestellt und später in die altorientalischen Hochkulturen überliefert, zum Beispiel der Apsis im Alten Ägypten oder im alten Mesopotamien ist der Stier durch die Schrift als Symbol des Mondes erklärt.
Bronzestatuette des Apisstieres,
Ägypten, saitische Epoche.
Mondsicheln auf jeder Flanke, auf der Stirn ein Dreieck.
Er galt als der "Himmelsstier" und konnte dem Dreieck auf der Stirn dargestellt werden, wie eine Stierprotome zeigt, die als Armstütze an einem Thron der Göttin Isthar diente. Sie wurde in Mari gefunden. Auf der Stirn ist eine helle, dreieckige Muschelplatte eingelegt.
Mit dem Ende der Eiszeit überwogen im mittleren und nördlicheren Europa die Ideogramme, doch die Verehrung des Stieres wurde nicht vergessen. In der Megalithzeit wurde in den Tumulus Saint Michel bei Carnac, Bretagne, der eine grosse Nekropole war, ein Stier sorgfältig bestattet. Zwischen ihm und den Toten muss eine religiöse Beziehung bestanden haben.
Unter dem Einfluss antiker Kulturen tauchte zur Hallstattzeit gegen 600-400 v. Chr. das Stierbild mit dem Dreieck auf der Stirn in Europa auf. Marie E. P. König weist auf den keltischen "Himmelsstier", der in dieser Zeit häufig dargestellt wurde.
Stierfigur aus Ton, auf den Flanken
Mondsicheln auf dem Kopf Dreiecke.
Gewiss sah man auch die Antike im Dreieck ein "Gotteszeichen", aber man wusste nichts mehr von der Herkunft dieses Zeichens. Es war, wie wir jetzt wieder feststellen können, ältestes abendländisches Geistesgut. Es wanderte vom Westen nach Osten und kam, mit christlichem Geist erfüllt, wieder zurück.
Doch wenden wir uns wieder den Höhlen der Ile-de-France zu. Die Möglichkeit, Kombinationen von drei geraden Linien zu finden, war mit den bis jetzt angeführten Beispielen noch nicht erschöpft. Das Dreieck liess sich auch verdoppeln. Vielleicht liegt dieser Idee wieder das Linienkreuz zugrunde. Im Schnittpunkt der beiden Geraden entstanden vier rechte Winkel je durch eine gerade Linie geschlossen wurden, entstanden zwei polar gerichtete Dreiecke. Ihre Spitzen berühren sich im Mittelpunkt. Das Zeichen war dann Kreuz und Dreieck zugleich, beladen mit umfassender Machtfülle.
Genau gesehen bestand die Welt aus den beiden Hälften. Wenn das Dreieck sakrales Zeichen für die Oberwelt war, so musste es die gleiche Bedeutung für die Unterwelt haben. Diese stand aber in der entgegengesetzten Halbkugel unter der oberen. Diese Polarität kam in der antithetischen Anordnung der Dreiecke zum Ausdruck. Es ergab sich daraus der Gedanke, dass die gleiche Macht beide Teile der Welt beherrschte, also die Herrschaft über die "ganze" Welt ausübte. Noch in den sumerischen Hymnen wird immer wieder betont, dass die Götter über beide Teile der Welt herrschen, über die Ober- und Unterwelt.
Wie wir sahen, liess sich die Entwicklung des doppelten Dreiecks von den beiden sich schneidenden Weltachsen ableiten. Dieses Linienkreuz fand aber die Ergänzung durch die dritte Weltachse, die den Zenit mit dem Nadir verband und immer senkrecht steht. Sie konnte auch zwischen den beiden Dreiecken erhalten bleiben.
Mit dem Siegeszug dieses Ideogramms durch weite Teile der Welt trat eine gewisse Sinnentleerung ein. Als aus dem graphisch dargestellten "Plan" das plastische Kultsystem wurde, verkümmert die nicht mehr verstandene senkrechte "Weltachse" und wurde zum "Griff". Wir finden solche Doppeläxte in vielen Kulturen, sie sind dann aber immer etwas Fertiges, Endgültiges, nur in der Ile-de-France erkennen wir die Herkunft dieses Symbols.
Am bekanntesten sind wohl die Doppeläxte von Kreta.
Hauptpalast von Knossos*
Im alten Herrscherpalast von Knossos sind auf Pfeilern im "Saal der Doppeläxte", auf Säulen und auf Quadern zahlreiche Darstellungen gefunden worden Zum Kult gehörten aber auch der schon angeführte lunarsymbolische Stier und die bedeutungsvollen "Hörner", die sich auf Zinnen und Mauern reihten. Wie ein Diadem trägt eine Göttin die Hörner auf dem Kopf. Alle diese Symbole weisen den Kult in Kreta als Mondverehrung aus. Die vielfältige religiöse Symbolik in Kreta lässt sich auf eine Grundkonzeption zurückführen, diese ursprünglich schöpferische Idee stammt aus der Eiszeit.
* Priesterin mit Doppelaxt |
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* Stier mit Doppelaxt |
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* Doppelaxt |
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* Die Bilder stammen von www.antikefan.de/Bilder/ Knossos/knossos.html und www.torso-lit.de/to07s73.htm |
Es ist deshalb verständlich, dass unsere Untersuchungen immer wieder in der Frühzeit ansetzt. Sie ist die Zeit des Planens und Suchens, und die Höhlen in der Ile-de-France legen davon Zeugnis ab. Die Zeichen waren dort noch nicht festgelegt und damit in ihrer Zeit begrenzt, man konnte ältere und neuere verwenden, auch welche erfinden, nur im Prinzip waren sie gebunden, d.h. im Ordnungswert der Drei.
Mit dem Ausdrucksmittel der geraden Linie lässt sich schon manches anfangen, es gab das Ideogramm der drei parallelen Linien, das Dreieck und seine Verdoppelung, doch waren damit die Möglichkeiten noch nicht erschöpft. Eine neue Variation ergab sich daraus, dass drei gerade Linien auf einen gemeinsamen Mittelpunkt bezogen wurden. Zwei Linien liefen dann ungefähr in der gleichen Richtung, die dritte stand senkrecht darunter. Es entwickelte sich ein Zeichen, das sich ungefähr der Form eines T nähert. (S. 156-184)
4. Das Sinnbild der Vollmondphase
Marie E. P. König stellt im Folgenden verschiedene Höhlenfresken von Bisons mit symbolischen Hörnern vor, die in das Jungpaläolithikum zurückverfolgen lassen, wie die Bilder zeigen.
Die Hörner stellen die vier Mondphasen dar. Die gleiche Symbolik erscheinen auf keltischen Münzen, die Marie E. P. König eingehend beschreibt. Zum Beispiel ist auf der einen Münze die Vollmondphase durch eine "Blattspitze" gekennzeichnet, die sich hier durch die Schaftung deutlich als "Speerspitze" zu erkennen gibt. Wir finden diese "heilige Lanze" auch auf anderen Münzen. Auf einem ostkeltischen Silberstater der keltischen Bojer ist ein Reiter dargestellt, aber seine Figur ist stilisiert, jeder konnte sehen, dass kein wirklicher Mensch gemeint war. Er trägt die Lanze mit der ovalen Spitze wie ein Zepter in der Hand, und sein Reich ist die Welt, deren Ordnung durch Punktgruppen angegeben ist.
Sie stehen zu dritt und zu viert, auch fehlt nicht das Ringkreuz. Durch die Geste der drei Finger hebt er die Bedeutung als Lunarsymbolik hervor.
Auf der zweiten Münze der Tectosagen ist die Vollmondphase nicht durch die Speerspitze gekennzeichnet, sondern durch ein Auge. Der Vergleich des Vollmondes mit einem Auge war kein schöpferischer Einfall der Kelten, es gab ihn schon viel früher, das lehren die paläolithischen Bilder.
Ihr Stil ist geprägt das Problem, die drei Mondphasen durch zwei Hörner und das Auge wiederzugeben. Das Tier zeigt, von der Seite gesehen, ein Auge. Damit beide Hörner sichtbar wurden, mussten sie gedreht werden.
Eine solche Ansicht zeigen sehr viele paläolithische Bilder, auch das in der Höhle La Mouthe, Dép. Dordogne. Dort ist ein Bison mit übergrossen gegenstündigen Hörnern gezeichnet, zwischen denen ein grosses Auge hängt.
Wenn man jedoch die Vordersicht des Tieres wählte, wie in der "Apsis" der jungpaläolithischen Kulthöhle "Trois Frères", Dép. Ariège, konnten die Hörner der Natur gemäss wiedergegeben werden, aber zwei Augen wurden sichtbar. Ihre Zahl musste korrigiert werden. Wie die Zeichnung von Abbé Breuil zeigt, ist nur das eine Auge vergrössert und hervorgehoben worden (S. 184-194).
5. Die Überlieferung geistiger Konzeptionen
Als aber die numinose Potenz, die alle Ideogramme beinhalteten, figürlich gedacht wurde, entstand das Bild vom Herrn der Welt, der zum Zeichen seiner Macht das Netz als Gottesmantel trug. Ein gut erhaltenes Beispiel dafür liefert eine etruskische Graburne aus dem zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts v. Chr., die in Betolle bei Chiusi gefunden wurde.
Auf der Mitte des Deckels steht eine Figur. Ihr flaches Gesicht mit dem vorspringenden Dreieck der Nase erinnert an die Köpfe der prähellenischen Idole von den Kykladen, 3000 v. Chr. Ihr Gewand ist glatt, keine Falten oder körperliche Formen unterbrechen das regelmässige Quadratschema.
Diese Symbolik geriet nicht mehr in Vergessenheit. Als über 1000 Jahre später die Bilderstürmer in Byzanz die naturalistischen Bilder ihrer Gott-Kaiser ablehnten, griffen sie auf die uralte Symbolik zurück. Der alte Göttermantel wurde zum Kaisermantel und verlieh seinem Träger Macht und Würde. Diese Wandlung spiegelt sich auch auf den Münzbildern dieser Zeit.
Kaiser Herakleios (610-614) forderte im Sinne der christlichen Trinität die Dreiheit der Kaiser, sein Goldsolidus zeigt ihn deshalb mit seinen beiden Söhnen, wobei sein Bart eine eigenartige Rolle spielt. Bringt er das Gestalt Zeichen der sich kreuzenden Linien, die zugleich auf dem Globus, der Himmelskugel steht? Weitere Beispiele römischer Kaiser folgen, die sich oder christliche Figuren, vor allem Jesus und Maria nach dem alten jungpaläolithischen Symbolen darstellen.
Ein netzförmige Gewand hatte nicht ein Byzantiner erdacht. Was im Bild unten als Zeichen höchster Machtfülle erscheint, waren die gleichen Ordnungsprinzipien, die der eiszeitliche Mensch durch intuitive Himmelssicht erworben und als Zeichen an seinen Kultplätzen fixiert hatte. In ihnen lag ein Sinn verborgen, der erst nach Jahrtausenden seine welthistorische Bedeutung entfaltete; und doch, wenn nach so langer Zeit alles auf eine Formel zurückgeführt wurde, ergab sich das Grundprinzip des Anfangs, die Kugel, und die Ordnungen von Raum und Zeit waren die Bausteine der Kulturwelt geblieben.
Auf dem Goldsolidus von Romanus III. Argyrus (1028-1034) setzt Maria dem Herrscher die Krone. Sie ist in fliessenden Gewändern gehüllt, wührend der Kaiser im Ornat die Macht seines Amtes zur Schau stellt.
Ist es nicht der Beweis für die systematische Entwicklung? Den Nenner bildeten die Grundbegriffe. Wir müssen sie unter dem Schutt der Jahrtausende und dem Staub des Vergessens wieder freilegen. Diese Arbeit führt immer wieder in die Kulthöhlen der Ile-de-France. (S. 194-S. 198)
6. Vom Dreieck zum Mutterschoss und weibliche Figuren
Der Glaube an die lebensspendende Kraft des Mondes und die Beobachtung seiner ständigen Erneuerung konnte den Vergleich mit der Mutter wachrufen, die dem Kind das Leben schenkt.
Im sumerischen Handerhebung-Gebet für Nanna, den Mondgott von Ur, heisst es: "Mutterschoss, der alles gebiert....". Sollte, mit diesem Gedanken beladen, das Dreieck zum "Schoss" des Himmels geworden sein? Eine solche Darstellung finden wir an der Deckenwülbung der Höhle Ronceveau bei Buthiers im Tal der Essonne. Dort steht ein tief eingeritztes Dreieck mit leicht gerundeten Ecken, das teilweise reliefartig herausgeschabt ist. Eine sorgfältig gearbeitete Schale bildet den Mittelpunkt, dünne Linien führen in diese Vertiefung hinein oder kommen heraus. Die Ähnlichkeit mit einer Vulva ist nicht zu übersehen. Dieses Zeichen ist umgeben von Kreuzen, Netzen und zu dritt gruppierten Linien. Lange, tiefe Schleifspuren am Boden der Höhle und Spuren zahlreicher Kultschläge bezeugen die Verehrung, die das Relief genossen hat.
Die Form dieses Dreiecks legt den Vergleich mit der äusseren Gestalt der Höhle nahe. Dieser Fels ist, von der Seite gesehen, dreieckig, und in der Mitte befindet sich das runde Einschlupfloch. Vielleicht dachte man sich die "Welthöhle" als Spiegelbild des Mutterschosses. Der archaische Mensch fühlte sich noch im Kosmos geboren "wie das Kind im Mutterleib".
Den Vergleich vom All mit dem Leib der Mutter kannte schon der Jungpaläolithiker. Er gab seinen Frauengestalten meist einen auffallend gerundeten Leib mit tiefem Nabel. Das führte zu der Annahme, dass damit nur eine schwangere Frau gemeint war, doch die Deformierungen der Figur beweisen, dass es sich nicht um eine alltägliche Erscheinung, sondern um eine Idee handelt, der Gestalt verliehen wurde.
Das Bild der Frau mit dem Schossdreieck gehörte zum Symbolschatz des eiszeitlichen Menschen und wurde kontinuierlich überliefert. Zahllose Darstellungen aus vielen Kulturprovinzen tragen in den folgenden Zeiten das Merkmal des Schossdreiecks. Die Tradition riss nicht ab, sie reichte bis nach Mesopotamien. In Larsa, dem alten Senkereh, wurde ein 27 cm hohes keramisches Gefäss gefunden, das aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. stammt und sich heute im Louvre in Paris befindet. Die darauf eingeritzten Bilder sind in zwei Zonen eingeteilt. In der oberen befinden sich Vögel, in der unteren Fische. Diese Einteilung bringt die Aussage, dass mit der oberen Zone die Oberwelt, mit der unteren die Unterwelt gemeint ist. Es ist also im Grunde der Kosmos dargestellt, und in diesem Sinne sind auch alle anderen Bilder von weltanschaulicher Bedeutung.(S. 198 - S. 210)
Im Bild der Vase nicht gut sichtbar: Isthar mit dem Dreieck, das im ganzen Alten Orient im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. allgemein bekannt war. Diese Abbildung stammt aus Larsa, 3. Jahrtausend v Chr. den hinteren Teil schmückt ein Stier mit den Mond-Hörnern
Letzte Revision im Juli 2014
Bearbeitet von
Esther Keller (Schweiz)