Marie E. P. König
Kapitel V: Weltordnung
in Zeichen und Zahlen
1. Sieben als Baustein der Kultur
Die Differenzierung des Weltbildes in Raum- und Zeitordnung hatte viele verschiedene Ideogramme gebracht, die als Zeichen für die Raumordnung dem Charakter der Vier entsprachen und als Zeitordnung dreiwertig waren. Die Synthese dieser verschiedenartigen Begriffe ergab den Symbolwert der Sieben. Dabei konnte auf beliebige der bekannten Ideogramme zurückgegriffen werden, und die Sieben gewann immer wieder neue Gestalt.
Es gibt in Lascaux Hinweise darauf, dass die Sieben bekannt war. Im Quergang der Höhle steht ein grosses schwarzbraunes Rinderbild. Darunter befindet sich ein Viereck von 60 cm Seitenlänge, das in sieben Felder unterteilt ist. Eine Bestätigung der Annahme, dass mit diesem Ideogramm die "Sieben" gemeint ist, bringt der grösste Raum der Höhle. Er wurde bei der Entdeckung als "Kirchenschiff" bezeichnet, weil er mit seiner kuppelartigen Deckenwölbung und der "Apsis" überraschende Ähnlichkeit mit einem Kirchenraum zeigt. Ein monumentales Bild zieht dort den Blick an. Es stellt ein 2,15 m langes Rind dar. Schlanke Beine tragen den schweren Körper mit doppelter Bauchlinie. Das Tier ist dunkel, nur die zur Deckenwölbung gereckten Hörner waren hell, sind aber schon in der Frühzeit restauriert worden. Zarte Lichter umspielen die Muskeln der Brust, der Schenkel. Aus dem Mund strömt der Atem. Das Bild ist ganz besonders sorgfältig ausgeführt. Unter ihm bildet die Wand einen Vorsprung. Das Tier ist so gezeichnet, dass seine Hinterbeine auf diesem zu stehen scheinen. Die Hufe berühren dabei zwei Vierecke, die auf dem Gesims in ungefähr waagerechter Lage angebracht sind, das dritte Viereck befindet sich unter dem Schwanz, dessen Spitze hineinhängt. Die drei Vierecke sind durch diese Anordnung offensichtlich mit dem Tierbild verbunden.
Grosse dunkel Kuh mit hellen Hörnern, die auf zwei Vierecken steht. Das dritte Viereck berührt sie mit der Schwanzspitze. Grosser Höhlenraum, genannt "Kirchenschiff" in der jungpaläolithischen Kulthöhle Lascaux.
Die drei Vierecke zeigen eine schachbrettartige Unterteilung. Ursprünglich waren es sieben Felder. Sie sind in verschiedenen Farben getönt. Dadurch wurde die Gliederung hervorgehoben. Auch die Dreizahl der viereckigen Ideogramme brachte schon den Symbolwert der Sieben. Die Bilder und Zeichen in Lascaux sind vielfach überarbeitet und korrigiert worden. Bei diesen Vierecken sind aus sieben Feldern neun gemacht worden. Jede Mondphase bestand aus neun Nächten, drei Mal neun wäre damit die Zeit der drei Mondwochen, die sichtbaren Mondwechsel. Die allgemeine Weltordnung als Sieben könnte zu der genaueren, spezielleren der Neun geworden sein, die sich aus der Beobachtung des Mondes ergab. Auf diesem in Zahlen ausgedrückten Symbol der Zeitordnung stand das Bild des "Himmelsstieres", der die Zeit bestimmte, hoch oben an der Deckenwölbung.
In einer besonderen Nische im "Kirchenschiff" sind zwei grosse Tierbilder eingeritzt und schwarzbraun getönt worden. Das eine stellt einen Bison von 1,40 m Länge dar, das andere ein Pferd, das 1,05 m gross ist. Eine mächtige, übernatürlich gross gezeichnete Mähne umgibt den Kopf des gebogenen Pferdehalses. Sollte damit der Hinweis auf den Strahlenkranz der Sonne angegeben sein, so wie die Hörner des Bisons Symbol der Mondbogen waren? Auf jedem der beiden Tiere sind sieben parallele Pfeile sorgfältig eingraviert. Ihre Zahl ist noch niemandem entgangen, und es wurde schon oft darauf hingewiesen. Der Pfeil diente hier als Kommunikationsmittel, wichtig war die Anzahl der Pfeile. Sie stehen in gleichlaufender Anordnung auf den Sinnbildern von Sonne und Mond. Es könnte der Bezug auf die beiden grossen Gestirne angedeutet sein, die es dem Menschen ermöglicht hatten, die Raum und Zeitordnung zu finden und damit das Ordnungsgesetz der Sieben.
Mit dem Ende der Eiszeit wurde die bildhafte Symbolik aufgegeben, doch die Sinnzeichen blieben erhalten. Das Zeugnis dafür liefern die Kiesel aus Mas d'Azil. Diese wurden in der alten Kultstätte deponiert, ihr Sinn ist noch immer auf das alte Weltbild bezogen. Unter diesen Steinen gibt es solche, die mit sieben roten Punkten oder sieben gleichlaufenden Strichen in roter Farbe gekennzeichnet sind.
Auf den Steinen des Megalithbaues,
Locmariaquer, Morbihan, Bretagne
Vorübergehend verschwanden die Bilder, die Ausdrucksweise wechselte, doch der Sinn blieb erhalten und konnte später wieder als Bild erstehen. So erwachsen in gewissen Abständen alte Sinnbilder zu neuem Leben, die durch Jahrtausende versunken schienen.
Irland hat ebenfalls viele Megalithbauten. Der bedeutendste Bau ist Newgrange, Country Meath, erbaut ungefähr 2000 v. Chr. Der rund aufgeschichtete Hügel ist von zwei Steinkreisen umgeben. In die grossen Steinplatten sind Ideogramme eingeschlagen worden, es dominieren das Dreieck und das Viereck. Manchmal sind beide Figuren zusammengefügt, in das Viereck ist ein Dreieck vertieft eingehauen. Da das Dreieck dem Prinzip der Drei entspricht und das Viereck dem der Vier, so kann man in ihrer Verbindung eine Addition zur Sieben erkennen.
In je zwei Dreiecke zerlegte Vierecke, eingehauen in die Innenwand des Megalithbaues "Newgrange", Country Meth, Irland,
um 2000 v. Chr.
Dieses Prinzip wurde in der Megalithzeit in die Wirklichkeit umgesetzt, der Kosmos mit seinen Ordnungen wurde als Bau errichtet. Davon zeugt auch der Grundriss von Newgrange. Die kosmische Rundung spiegelt sich im Tumulus. Die subjektive Weltsicht führt hinein in den viereckigen Innenraum, dessen vier Ecken nach den vier Himmelsrichtungen orientiert sind. Dem Schema der Drei entsprechend weitet sich dieses Gemach in drei Nischen mit den grossen Kultschalen. Solche sogenannten Kleeblattgrundrisse finden wir auch bei den steinzeitlichen Tempeln in Malta. In Newgrange wölbt sich über der Vierung die Kuppel. (S. 240-248)
2. Der Auferstehungsglaube im Sinnbild der Spirale
Dreiecke, Vierecke, Spiralen auf dem grossen Blick des inneren Steinkranzes von "Newgrange" (Claire O'Kelly K 67)
Zwischen den Dreiecken und Vierecken sind in Newgrange Spiralen eingestanzt, z.B. auf einem grossen Block des inneren Steinkreises. Das Prinzip des Kreises nimmt auch die Spirale auf, doch rollt sich der Weg der Linie nicht zum Anfang zurück, er fährt in vielen Windungen zum Mittelpunkt. Als Mittelpunkt der Welt konnte der höchste Punkt am Himmel verstanden werden, der Zenit, oder der tiefste, abseitige, der Nadir. Es gab deshalb zwei Spiralen, eine führte hinauf, die andere hinab. In diesem Sinne könnten die beiden sich auf dem Block im inneren Steinkreis im Gegensinn windenden Spiralen zu verstehen sein.
Die eine Spirale drehte sich nach oben, führte also hinauf zum Licht, zum Himmel, die andere versank im Gegensinn ins Jenseits, ins Dunkel. Es wurde das Problem von Tod und Leben ausgedrückt. Die beiden Gegensinn laufenden Spiralen setzen den Begriff der beiden polaren Halbkugeln voraus, auf denen sich der Weg abrollt.
Der walzenförmige Block vor Newgrange ist mit Ornamenten überzogen, die sich alle auf die Weltordnung beziehen. Es sind Dreiecke, Vierecke und grosse Spiralen. Diese sind hier doppelläufig. Wenn man der Spirallinie folgt, führt sie zum Mittelpunkt, macht dann eine Kehrtwendung und läuft wieder zurück. Wenn im Mittelpunkt der Spirale der Nadir gesehen wurde, so ergab sich aus der Abrollung der Weg in die Tiefe, in die Unterwelt, ins Reich der Toten. Der Reise ins Jenseits folgte nach der Wendung die Rückkehr ins Leben. Die Spirale gab damit auch der Auferstehungshoffnung Ausdruck. Diese Idee lebte weiter, auch als die Spirale zum Labyrinth wurde. F.C. Bursch hat nachgewiesen, dass damit immer der Begriff der Lebenserneuerung verbunden war.
Gerade der Ritus war immer stark von den bedeutungsvollen Zahlen bestimmt. Das beweist noch das Alte Testament. Es heisst Jos. 6,4: 7 Priester mit 7 Posaunen 7 Tage einmal, schliesslich 7 Mal um Jericho ziehend.
Die Drei, die Vier, die Sieben sind klassische Zahlen der kultischen Wiederholung. Nachweisen kann man sie erst durch die schriftliche Überlieferung. Das schliesst nicht aus, dass sie schon viel früher als Kultregel galten. Die Ornamente in Newgrange sind wohl nicht als Schmuck der Wände gedacht gewesen. Sie gaben Gesetze wieder, die den Kultbau und die Kultordnung bestimmten. Der Plan war, wie wir sahen, uralt und galt nicht nur für Irland. (S. 248-252)
3. Keltische Münzprägungen
unter dem Gebot der Sieben
- Gold. "Regenbogenschüsselchen" mit Triskeles, dem keltischen Stamm der Boier zugeschrieben (Forrer S. 221/222 Fig. 399), um 100 v. Chr.
- Gold. "Regenbogenschüsselchen mit fünf Punkten zwischen den Bogenenden und drei Punkten in der Mitte (aus Besitz von Viktor v. Scheffel), um 100 v. Chr.
- Goldenes Muschelstater mit Sonne-Mond-Prägung (Forrer S. 34, Fig. 65), um 100 v. Chr.
Das Grundprinzip, die wir getrennt als Drei und Vier, vereint als Sieben lesen können, waren im Paläolithikum entwickelt worden und bestimmten seit dieser Zeit die geistige Haltung der Europäer.
Jeder keltische Stamm prägte eigene Münzen, Ihre typische Eigenprägung begann gegen 150 v. Chr. und endet schon nach hundert Jahren. Als Vorbild dienten antike Münzen, deren Münzbilder sie allmählich veränderten, bis sie der eigenen religiösen Symbolik gerecht wurden.
Die Drei und die Vier gehören zu den Ordnungselementen aller keltischen Münzprägungen. Von diesen Grundprinzipien ausgehend, entwickelten die Kelten ihre oft phantastisch anmutenden Münzbilder. Es ist ein Glaubensbekenntnis, das mit den Zungen alter Zeiten die Macht der Weltordnung verkündete.
Die Drei ist am Himmel abgelesen worden und fand deshalb im Himmelsbogen ihren Platz. Dieser Bogen, der, wie ausgeführt, den Aufriss der Welt meinte, fand im Regenbogen seine leuchtende Verkündigung. (S. 252-264)
4. Neun, ein universales Ordnungsschema
Die Neun ist eine zusammengesetzte Zahl. Sie besteht aus der dreifachen Drei und wurde meist entsprechend dargestellt. Die Drei war, wie ausgeführt, das Gesetz der Zeitordnung, die sich nach den drei Mondphasen orientierte. Die Neun brachte das genauere Schema, abgeleitet von der Erkenntnis, dass jede Mondphase neun Nächte umfasst.
Zwei Kiesel mit je neun Punkten aus Mas d'Azil, Dép. Ariège, Mittelsteinzeit
Diese Zeitordnung überlebte die Eiszeit, die Menschen der Mittelsteinzeit waren sich ihrer bewusst und gaben sie durch dreimal drei Punkte auf einem Kiesel wieder, der in der Höhle Mas d'Azil gefunden wurde.
Statt der Punkte konnte auch Schälchen als Kommunikationsmittel dienen. Aus ihnen ist das Ideogramm zusammengesetzt, das sich auf dem Boden der schon erwähnten Kulthöhle Jean Angelier befindet. Diese Vertiefungen sind dort sorgfältig rund eingeschliffen und alle gleich gross. Sie sind so angeordnet, dass sie in drei Reihen zu dritt stehen und alle zusammen ein Viereck bilden.
Wenn mit der Neun auch ein Zeitbegriff verbunden war, so ist dieser doch nicht unseren heutigen Begriffen entsprechend einzuengen. Durch die in ihm enthaltenen Grundprinzipien der Drei und der Vier stellt auch dieses Ideogramm der neun Schälchen ein anderes Viereck mit schrägem und senkrecht stehendem Kreuz. Die Zeichen lagen unter den Wurzeln von Eichen und waren dadurch geschätzt.
Das Viereck mit doppeltem Innenkreuz ist in vielen Kulthöhlen der Ile-deFrance zu finden, doch unterscheidet sich dieses Beispiel von den anderen dadurch, dass jeder Schnittpunkt durch ein Schälchen vertieft ist. Der wichtigste Punkt ist der Mittelpunkt, denn in ihm schneiden sich alle Achsen. Er ist deshalb auch am sorgfältigsten ausgeführt. In acht Punkten treffen die Enden der Kreuzarme das Viereck, sie sind ebenfalls durch Schälchen gekrennzeichnet. Es sind im Ideogramm also zusammen neuen Schälchen zu finden, und sie lassen sich, wenn man nicht auf die Achsen achtet, auch im Sinne der drei mal drei lesen.
Viereckiges Ideogramm mit neun Schälchen auf dem Boden der Kulthöhle "Jean Angelier" bei Noisy-sur-Ecole
Die Neun war ein Ordnungsprinzip der Zeit, man konnte in ihr aber auch die Zahl der Kardinalpunkte und damit ein Gesetz der Raumordnung finden. Es ist ein typisches Merkmal der allgemeinen Begriffe, dass ihr Denkbereich sehr weit ist und nicht nur einen bestimmten genauen Sinn bezeichnet. Wir dürfen in der Neun ein universales Ordnungsschema des Kosmos sehen. Deshalb hat dieses Denkschema auch weltweite Verbreitung gefunden. Im alten Mesopotamien thronten die Götter auf diesem Ideogramm, was uns viele der erhaltenen Rollsiegel zeigen. Ihr Thron ist das aus neun Feldern zusammengesetzte Viereck. Das gleiche Zeichen wurde im sogenannten "Lo-Dokument" in China verehrt. Es galt dort als Musterbeispiel des geordneten Kosmos.
Den Kelten war dieses Ordnungsprinzip nicht weniger geläufig, sie prägten es auf ihre Münzen. Auf einer Goldmünze der Parisii ist ein in neun Felder geteiltes Viereck dargestellt. Jedes Feld enthält einen Punkt. Es sind neun Felder und zugleich neun Punkte. Sie ballen sich im Mittelpunkt der Münze zur Neunheit (S. 264-272)
5. Die Zwölf als Rüstzeug
der Hochkulturen
Als Kommunikationsmittel wurde in den Kulthöhlen der Ile-de-France vor allem die gerade Linie verwendet. Aus Linien wurden geometrische Figuren zusammengestellt, und es entwickelte sich, den vier Kardinalpunkten entsprechend, das Abbild der Welt zum Viereck. Es blieb immer mit dem Zahlenwert der Vier verbunden. Drei Vierecke entsprachen der Multiplikation 3 mal 4. Es entstand damit das Symbol für ein weiteres Ordnungsschema, für die Zwölf.
Auf Spuren dieser Zwölferordnung stossen wir immer wieder; sie führen bis in die Altsteinzeit zurück. In der Kulthöhle Mas d'Azil, Dép. Arège, ist eine Elfenbeinfigur gefunden worden, die Steinböcke darstellt. Auf dem "Griff" dieses Objektes sind parallele Striche eingeritzt. Auf der einen Seite sind es vier Gruppen von je drei gleichlaufenden Geraden, die durch Richtungswechsel die Gliederung sichtbar machen und durch die Gruppierung um einen Zentralpunkt die Zusammengehörigkeit betonen. Auf der anderen Seite der Skulptur sind zwei mal sechs Parallelen angebracht, die ebenfalls zwölf ergeben. Diese Elfenbeinplastik stammt aus dem Jungpaläolithikum. Als die Bilder aufgegeben wurden, blieb die Zahl erhalten.
Die Zwölf gehörte zum geistigen Rüstzeug der Hochkulturen. Ihre Kenntnis, die in der Eiszeit entwickelt wurde, beeinflusste die Struktur der späteren Kulturen, die das Sexagesimalsystem entwickelten, die Einteilung des Jahres in Zwölf Tierkreiszeichen, die Zwölf grossen Gottheiten der Griechen und Römer und die Zwölf Stämme Israels oder der Etruskern, aber auch die Zwölf Jünger, die sich um Jesus scharten. (S. 272-277)
6. Vierundzwanzig als Schema des Weltberges
Verschiedene Ideogramme, darunter das Dreieck und das viergeteilte Viereck auf der Felsplatte von Bedolina bei Capo di Ponte. Valcamonica
Die oben angeführte Figur der drei geschachtelten Vierecke auf dem Boden der Höhle "Jean Angelier" war die Voraussetzung für eine prägnantere Darstellung, die sich auf dem runden Felsblock in der Höhle "Marie König" befindet. Drei Vierecke sind auch dort ineinanderliegend dargestellt, doch wurde in das grösste Viereck ein senkrechtes Kreuz hineingesetzt. Es durchschneidet zugleich die beiden inneren Vierecke. Kultschläge bezeugen die Anrufung dieser Weltordnung. Wir erkennen sie noch heute an kleinen Schlagmarken im Stein.
Durch das Kreuz wurde die Zahl der Schnittpunkte vermehrt. Es sind Zwölf neue Fixpunkte, die zu den Zwölf Eckpunkten hinzutreten. Zusammen ergibt sich daraus die Zahl 24. Sie passt in das alte Schema, das sich immer aus Dreierwerten und Viererwerten zusammensetzte, denn 24 kann auch als zwei mal drei Mal vier verstanden werden.
In Bedolina schliesst sich an das Viereck mit den sechs Punkten ein anderes an, das Zwölf Punkte trägt. Sie gruppieren sich um einen Mittelpunkt, der, durch einen Ring eingefasst, sich besonders hervorhebt. Auch die Zwölf ist eine kanonische Zahl, und der Zwölfte mag eine besondere Stellung innegehabt haben. Von diesem Zentrum aus fährt jedenfalls eine Linie zu einem weiter oben stehenden Ideogramm, zu einem Viereck mit drei Teilungslinien. Zwischen drei, Viere, Zwölf bestehen Zusammenhänge, spiegelt sich doch in jeder Zahl das Prinzip der kosmischen Ordnung. Aus zwölf Monaten setzte sich das Mondjahr zusammen und jeder Monat aus drei Mondphasen. wenn wir den Zahlen nachgehen, stossen wir immer wieder auf Ordnungsprinzipien. Eine Linie verbindet auch die Zwölf mit der schon erwähnten Vierundzwanzig. Diese Zahl ist sorgfältig aus vier Sechserreihen zusammengesetzt. Könnten mit der Vierundzwanzig die Stunden des Tages gemeint sein? Da diese Ideogramme vielleicht spät, zur Zeit der Verbindung mit den antiken Kulturen, in die Felsen geschliffen wurden, kannte man gewiss schon die Einteilung der Tageszeit in Stunden.
Von dem Ideogramm in der Mitte des Bildausschnittes führen drei Linien zu den drei Ideogrammen am rechten Rand. Auch diese sind viereckig. Im mittleren sind die
Schälchen besonders gross. Fünf Punkte bilden je eine Reihe, und dies in fünffacher Wiederholung. Damit war der gewünschte Zahlenwert noch nicht erreicht,
zwei Punkte wurden hinzugesetzt, damit es 27 waren. Auch diese Zahl hat kalendarische Bedeutung, denn aus 27 Nüchten setzen sich die drei Mondwochen zusammen, der Monat.
(S. 277-282)
7. Die senkrechte Weltachse
Sogenanntes "Mühlebrett"
Tschötscher Heide, Brixen (Südtirol)
Die Ordnung der Welt liess sich also klarer als durch Bilder in Form von geometrischen Figuren und Zahlen wiedergeben. So ist es zu erklären, weshalb auf der Tschötscher Heide auf einem Vorberg über Brixen (Südtirol) fast nur geometrische Figuren aufgezeichnet wurden. Es gibt dort Schalen. Vierecke mit Mittelpunkt und vor allem das sogenannte "Mühlebrett".
Die Eckpunkten sind Schnittpunkte, wobei der Zahlenwert vierundzwanzig klar hervortritt. Solche Mühlebretter sind schon seit dem Altpaläolithikum bekannt, wie Marie E. P. König ein paar Seiten vorher erläuterte.
Senkrecht stehender Stab im "Mühlebrett" und wandernder Schatten. Tschötscher Heide, über Brixen
Keine der Achsen schneidet das kleinste Viereck der Figur.
Es ist eine ungeteilte Fläche. Wenn wir uns die Zeichnung ins Plastische übersetzt denken, so hatte der "Weltberg" auf der Höhe ein Plateau. In seinem Mittelpunkt, 285. dem Zentrum aller Vierecke, befindet sich eine Vertiefung. Es ist kein Schälchen. Das Loch ist so tief, dass ein Stab hineinpasst und darin senkrecht stehen bleibt. Im Gegensatz zu den horizontalen Linien des Ideogrammes betont der Stab die Vertikale, die Richtung von oben nach unten. Sie entspricht der dritten Weltachse, der gedachten Verbindungslinie von Zenit und Nadir.
Ihr Schatten wandert wie ein Uhrzeiger über das Ideogramm, dessen Einteilung an unser Zifferblatt erinnert. Die Anlage könnte als Sonnenuhr gedient haben, doch lässt sich daraus auch die Himmelsrichtung ablesen. Eine solche Einrichtung kann bis in die christliche Zeit benutzt worden sein, deshalb ist sie schwer zu datieren. Doch wenn wir die ganze Entwicklung überblicken, scheint es, dass die kosmische Orientierung immer im Mittelpunkt des Kultes stand.
Wenn wir das Ideogramm von Brixen betrachten, so sehen wir, dass das eigentlich "Aktive", das "Hangende", die Senkrechte war, denn sie "warf" den Schatten, der sich dann drehte. Durch diese Bewegung bestimmte sie Zeit und Raum. Als die Allmacht menschliche Züge erhielt, konnte man die Stele als Prinzip der Leibhaftigkeit benutzen, denn auch der aufrechtstehende Mensch zeigt die senkrechte Haltung. Die Entwicklung von der Stele zum Gottesbild finden wir in vielen Kulturen, besonders gut lässt sie sich in Korsika verfolgen (3000-2000 v. Chr.).
Dort gibt es viele Menhire, das sind glattgeschliffene Steinsäulen von länglich hoher Gestalt. Sie stammen aus der Megalithkultur, überschreiten in der Höhe immer die menschlichen Proportionen und stehen oft in langen Reihen zusammen. Ein solches "Alignement" ist in der Gemarkung von Pagliaiu gefunden worden. Eine dieser Stelen (Höhe 2,47 m) unterscheidet sich von den übrigen. Ihr ist auf der Vorderseite ein grosses Langschwert in senkrechter Stellung eingeritzt.
Oberster Teil einer zerbrochenen Stele vom Kultzentrum Filitosa im Südwesten von Korsika. Am Rücken senkrechte Linie mit schräggestellten Seitenlinien
Neben dem Kultzentrum Filitosa im Südwesten von Korsika stehen hohe Steinsäulen, die an entlegenen Plätzen gesammelt wurden, um hier Schutz zu geniessen. Auf ihrer Rückseite läuft von oben bis unten eine tiefe, gerade Linie. Diese Senkrechte unterstreicht die Form der Stele und bringt den graphischen Ausdruck für den formalen der Steinsäule. Diese senkrechte Linie könnte das Ordnungsprinzip der dritten Weltachse meinen, wie wir schon in den Höhlen der Ile-de-France sahen.
Genauere Angaben bringt eine andere Stele, die auf dem Bergrücken in Filitosa gestanden hat. Eindringende Eroberer haben sie gestürzt, in drei Teile zerbrochen und als Mauersteine verwendet. Die Stücke sind wieder gefunden und aufeinandergesetzt worden. Die Stele glich einst den anderen in ihrer langen, glatten Gestalt und besass auch die Hörnertiara. Die senkrechte Linie im Rücken ist aber durch zusätzliche, schräggestellte Seitenlinien ergänzt. Ihre Schrägung bildet Winkel, deren Spitzen nach oben weisen. Im Sinne der alten Aussage müsste damit das aufsteigende Licht, die Macht über den Tod gemeint sein. Mit der Stele war also eine Allmacht dargestellt, die Zeit und Raum ordnete und auch den Tod überwinden konnte.
Die Weltordnung durch den senkrecht aufgestellten Pfahl auszudrücken, ist sehr alt. Obwohl die Weltordnung immer spezialisierter gedacht werden konnte, bestimmten die Grundprinzipien den Aufbau der Kulturwelt, auch als man nicht mehr wusste, warum man an diesen ungeschriebenen Gesetzen festhielt. So steht auf der Empore der ehemaligen Palastkapelle Karl des Grossen im Aachener Dom noch heute seine Sitzbank aus Marmor. In eine ihrer Platten ist das sogenannte Mühlebrett eingeritzt. Man wusste noch, dass damit die Weltordnung gemeint war, denn der Gesetzgeber sass ja wortwörtlich darauf, er "besass" die Macht über die Welt. Deshalb ist diese Bank keine gewöhnliche Sitzgelegenheit, sondern ein "Thron". (S. 283-289)
Letzte Revision im Juli 2014
Bearbeitet von Esther Keller (Schweiz)