Römer 3,24-26


von Esther Keller-Stocker

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1. Einleitung

Diese Arbeit ist aus einem Unbehagen gegenüber der christlichen Theologie entstanden. Denn die offizielle Theologie trachtet danach, das Männliche zu verherrlichen, während alles, was an weiblich erinnert, möglichst verdrängt und ausgeschaltet wird. Röm.3,24-26 ist dafür ein gutes Beispiel: Paulus übernimmt einen Teil eines judenchristlichen Hymnus (1), um seine Rechtfertigungslehre zu erläutern. In diesem Fragment ist von Jesus Christus als Sühnopfer die Rede, welches uns von unseren vergangenen Sünden erlöst. Mit diesem Opfer, ermöglicht Gott eine neue Schöpfung (2).

Der Hintergrund dieses Gedankens ist die alttestamentliche Vorstellung vom Treueverhältnis Gottes zu seinem Volk Israels (3). Darin wird Gott als Ehemann, Ankläger und Richter vorgestellt, das Volk als ehebrecherische Ehefrau. In Ezechiel 16 macht Gott seinem Volke unglaubliche Vorwürfe, beschimpft und bedroht sie, während von der Ehefrau kein Wort fällt. Denn das Volk in Gestalt der Ehefrau hat kein Recht, etwas zu sagen und sich zu verteidigen. Folgt man Jeremia 18, so wünscht sich Gott sein Volk als tote Masse, die er nach eigenem Gutdünken formen und gestalten kann. Als er die Eigenständigkeit des Volkes wahrnimmt, reagiert mit Zorn, Krieg und Zerstörung.

In Römer 3,25 wird Christus als Hilasterion bezeichnet. Heutige Exegeten sind sich darin einig, dass sich Römer 3,25 auf III. Moses 16 bezieht (4). In diesem alttestamentlichen Text ist von einem Versöhnungsritual die Rede, in dem der Hohepriester Opferblut gegen die Lade sprengt. Die Lade ist mit einem Sühnedeckel zugedeckt. Dieser Sühnedeckel heisst auf Hebräisch Kapporeth, auf Griechisch Hilasterion. Der Sühnedeckel kommt im Alten Testament ohne die Lade aber nie vor. Und so ist es nahe liegend, dass die Autoren des Hymnusfragments in Römer 3,25-26a auch die Lade mitgemeint haben müssen. Jedenfalls ist es eigenartig, dass Paulus ausgerechnet nach "Hilasterion" korrigierend eingreift, indem er zwei Wörter durch "im Glauben" ersetzt. Könnten die beiden weggestrichenen Wörter ein Verweis auf die Lade gewesen sein, die Paulus verdrängte?

Was ist die "Lade"? Zunächst ist die "Lade" ein Symbol der Grossen Mutter, davon haben C. G. Jung und Erich Neumann ausgiebig berichtet (5). Nach alttestamentlichen Zeugnisse stand die Lade seit der Einweihung des Jerusalemer Tempels im Allerheiligsten (I. Könige 8). Alljährlich wurde nach priesterlicher Quelle einmal im Jahr das Sühneritual vollzogen (III. Mose 16). Der Hohepriester besprengte den Sühnedeckel mit Opferblut und liess das übrige Blut auf den Boden fliessen. Der Sühnedeckel wurde im Alten Testament auch als Schemel verstanden, auf dem Jahwe seine Füsse setzte (Jes. 6). Andererseits deckte der Sühnedeckel die nach oben offene Lade (II. Könige 8) zu. Der Sühnedeckel symbolisiert eine Trennung zwischen Gott im Himmel und der Lade als Muttergottheit auf Erden. Das Blut muss an die Erde, d.h. an die göttliche Mutter zurückkehren. Die Rechtsprechung aber wird von Gott, Jahwe, im Himmel angeordnet. So als Kain seinen Bruder Abel getötet hatte:

Da sprach Jahwe zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er aber sprach: Ich weiss es nicht. Bin ich denn der Hüter meines Bruders? Er aber sprach: Was hast du getan! Horch, das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. Und nun – verflucht bist du, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. (I. Mose 4,9-11)

Hier läuft die ganze intellektuelle Verarbeitung, also der Gerichtsprozess im Gespräch zwischen Jahwe und Kain ab.

In einer älteren Vorstellung gehört die Entsühnung und die Rechtsprechung in den Bereich der Mutter Erde, so in V. Mose 21: Auch hier ist von einem Mord die Rede, diesmal begangen von einem Unbekannten. In dieser Situation wird einer jungen Kuh das Genick gebrochen, um die Erde zu entsühnen. Kühe waren im Alten Orient immer Manifestationen einer Göttin.

Jesus Christus als Hilasterion (Römer 3,25) ist Hohepriester und Opfer zugleich. Doch eine Frage steht im Raum: Theologisch wird immer davon gesprochen, dass sich Gott selber geopfert hat für uns Menschen. Aber wer verlangt dieses Opfer? - Der Todesaspekt der Grossen Mutter und zwar im ausdrüclichen Einverständnis (Rechtsprechung) des Grossen Vaters,

ihn hat Gott dazu bestellt, Sühne zu schaffen durch die Hingabe seines Lebens (Röm. 3,25, Zürcher Bibel)

Nur so ist die neue göttliche Heils- und Schöpfertat möglich.

Die Aussage in Römer 3,25 ist mythisch. Die Vereinigung der Ureltern in ihrem Todes- und Wiedergeburtsaspekt, der sich in Jesus Christus und seinen Nachfolgern manifestiert. Dieser Tod- und Wiedergeburts-Aspekt ist im Gegensatz zu den Evangelienengel rechts ausgesprochen patriarchalisch. Denn nur der männliche Aspekt ist sichtbar während der Todesaspekt der Grossen Mutter verdrängt wird.

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Interpretation von Esther Keller
Text von 1985, letzte Revision im März 2013