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5. Dritter Mose 16
In III. Mose 16 sind verschiedene Rituale zusammengefasst. "Stier, Sohn vom Rind" (V. 3) und "zwei Ziegenböcke von Ziegen" (V. 5). Was auffällt, sind die umständlichen Bezeichnungen der geopferten Tieren.
"Ein Stier, ein Sohn vom Rind (phar ben-baqar, V. 3)
"Zwei Ziegenböcke von Ziegen"
(schenaj sairej eziim, V. 5)
"Anstelle seines Vaters" (thachath abiiw, V. 32)
Bei diesen Opfern wird der Bezug zur Mutter betont.
Ein liturgisches Formular, das ursprünglich von Frauen und Mütter handelt, sind die Segenssprüche in V. Mose 28.
5.1. "Gesegnet sei die Frucht deines Schosses"
Gesegnet sei die Frucht deines Schosses (bäthän),
gesegnet sei die Frucht deines Ackers,
gesegnet sei die Frucht deines Viehs,
der Wurf deiner Rinder
und die Zucht deiner Schafe.
(V. Mose 28,4)
In diesen Segenssprüchen wird eine Frau und ihre Arbeit gesegnet, im ersten Satz ihr Schoss, Bäthän. Bäthän wird übersetzt mit "Leib, Bauch, Mutterleib, Inneres" (36) und steht parallel zum nächsten Segnen "die Frucht deines Ackerbodens". Der Ackerboden wird auf der ganzen Welt mit Frau und Göttin in Zusammenhang gebracht. Weiter heisst es "gesegnet sei die Frucht deines Viehs, der Wurf (37) deiner Rinder" (38). Dass nur weibliche Tiere werfen können, ist ja trotz der allgemeinen Bezeichnung "Rind" klar.
In diesen drei Parallelen "die Frucht deines.... " geht es eindeutig um weibliche Fruchtbarkeit. Der Segensspruch ist daher ursprünglich an eine Frau gerichtet und nicht an einen Mann:
Weiter heisst es:
Gesegnet sei dein Korb und dein Backtrog
(V. 5)
"Korb" und "Backtrog" gehören ebenfalls seit jeher einer Frau. Im Neuen Testament finden sich dieser Segen wieder und diesmal in der ursprünglichen Form: So begrüsst Elisabeth die schwangere Maria mit den Worten:
Gesegnet bist du unter den Frauen,
und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. (Lukas 1,42)
Vor dieser Begrüssung wird berichtet, wie der Engel Gabriel der Maria erscheint. Sein Gruss entspricht dem der Elisabeth:
Sei gegrüsst, du Begnadete! Der Herr ist mit dir.
Sie aber erschrak über das Wort und sann darüber nach, was das für ein Gruss sei.
Da sprach der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria!
Denn du hast Gnade bei Gott gefunden.
Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären; und du sollst ihm den Namen Jesus geben. (Lukas 1,26-31)
Der Gruss des Engels erinnert an die zahlreichen Stellen im Alten Testament, in denen ein Engel einer Frau begegnet und ihr einen Sohn verheisst: Solche göttliche Begegnungen kennen wir bei Sarah (I. Mose 18), Hagar (I. Mose 16), Hannah (I. Samuel 1) und der "Frau des Manoah" (Ri. 13). Diese Engelsgeschichten gehen auf das Motiv des Fremden zurück, welches in alten Stammesgeschichten weit verbreitet war: Ein Fremder zeugt mit einer Frau ein Kind, einen Sohn und dieser wird später Stammeshäuptling. Solche Erzählungen stammen aus Zeiten, in denen die Vaterschaft eines irdischen Mannes unbekannt war. In jenen Zeiten empfand man die Geburt eines Mädchens als Reproduktion der Mutter. Die Fähigkeit der Mutter, ein männliches Kind zu gebären, wurde als Wunder erfahren. Dieses Wunder musste etwas mit einer göttlichen Instanz zu tun haben. Beliebt waren Erzählungen vom Mondgott, welcher die Frau im nächtlichen Baden im Fluss oder im See schwängerte. Die Faszination der numinosen Zeugung und die Geburt des Kindes ist noch in unserer Seele begründet wie Esther Harding in "Frauenmysterien - einst und jetzt" beschreibt.
Die Segenssprüche in V. Mose 28 hält Gerhard von Rad (39) für "kultisch geprägtes Formular", das in der vorexilischen Bundeserneuerungsfeier verwendet wurde. Nach Lothar Perlitt (40) lässt sich im Alten Testament eine solche Bundeserneuerungsfeier erstmals beim Propheten Hosea nachweisen , allerdings in seiner patriarchalen Umdeutung. Diese Segensprüche wurden vom Redaktor mit der Aufforderung zum Gehorsam gegenüber Jahwe verwoben, bei Ungehorsam werden die Segenssprüche zur Verfluchung (V. 15ff.). Dabei erleidet Israel dasselbe Leid wie die Eingesessenen bei der Landnahme durch Israel. Nach V. 49 holt Jahwe eigenhändig ein fremdes Volk herbei, das das Volk Israel belagern und zerstören soll. Doch auch dieses Volk wird später von Jahwe verworfen - eine endlose Kette des in seiner Destruktion verstrickten männlichen Archetyps.
5.2. Antike Geheimbünde
Die Segenssprüche in V. Mose 28 erscheinen, wie gesagt, bei Lukas in ihrer urtümlichen Form. Da stellt sich die Frage, woher Lukas diese urtümliche Formel hat? Allgemein fällt auf, dass in den Evangelien Motive auftauchen, die in der antik jüdischen Tradition nicht vorkommen und somit aus anderen religiösen Kreisen stammen müssen. Und da diese Motive häufig frauenfreundlich sind, denken Forscherinnen und Forscher an eine geheime weibliche Tradition, die in die Evangelien eingeflossen sind. Zu dieser Tradition äussert sich zum Beispiel Morton Smith:
Welche Arten von Geheimnissen gab es in der griechisch-römischen Welt? Als ich anfing, mich umzusehen, fand ich sie überall. Kinder hatten immer welche und liebten sie - lieben sie immer noch...... Am einen Ende der sozialen Skala im Altertum stand das kaiserliche Regierungssystem mit seinen Geheimnissen, den arcana imperii, die nur dem Kaiser und seinen vertrauten Ministern bekannt waren. Am anderen standen die geheimen Vereinigungen der Sklaven, deren Mitglieder sich einander mittels unauffälliger Zeichen und Losungswörter bemerkbar machten. Nach den Sklaven kamen die Frauen, und ihre Welt war damals wie heute weithin ein geheimer Bereich, zu dem nur wenige Männer Zugang hatten. Aber auch in der Welt der freien Männer war Geheimes all überall - in der Politik, in geschäftlichen Organisationen, im Handwerk und Gewerbe. Die Geheimnisse des ärztlichen Berufes werden heute noch vom alten hippokratischen Eid gehütet. (41).
Die Überlieferung weiblicher Geheimlehren, die in den Evangelien auftauchten, weist auch auf die Bedeutung der Frauen zu Beginn der christlichen Bewegung.
Marion Giebel hat darauf hingewiesen, dass Frauen in antiken Mysterienkulten häufig eine sehr einflussreiche Rolle gespielt hatten, eine Rolle, die ihnen im öffentlichen Leben versagt blieben. So schreibt Marion Giebel:
Wir können, was die Rolle der Frauen wie der Sklaven angeht, in den Mysterienkulten allgemein eine Aufhebung gesellschaftlicher Schranken konstatieren. In der Inschrift der Agrippinilla lernten wir eine Frau als Oberhaupt eines privaten Bakchos-Mysterienvereins kennen, zusammen mit den Sklaven aus ihrer Familie als Eingeweihte. Die Dame aus der Mysterienvilla, die Mutter des Redners Aischines als Weihepriesterin des Sabazios - überall treffen wir Frauen als aktive, ja leitende Mitglieder von Mysterienvereinigungen an. Ausgeschlossen von der politischen Tätigkeit und den meisten Funktionen des Staatskultes konnten die Frauen sich hier entfalten, sie konnten die ihnen eigene Religiosität einbringen, und so ist es nur folgerichtig, dass sie auch im frühen Christentum - das ihnen ja als eine Privatreligion wie die Mysterien entgegentrat - sogleich eine aktive Rolle spielten (42).
Anhand der Apostelgeschichte und den paulinischer Schriften hat Luise Schottroff solche Frauengemeinschaften und Frauenbewegungen nachgewiesen und gezeigt, wie Frauen als religiöse Lehrerinnen auftraten (43). Auch weist die Autorin ausdrücklich darauf hin, dass Frauen einen grossen Einfluss auf den Inhalt der Evangelien hatten.
Meines Erachtens gehören auch die Verheissung des Engels und der Gruss Elisabeths an Maria zum Repertoire eines geheimen weiblichen Mysterienbundes. Diese weiblichen Mysterienbünde waren massgebend an der Verkündigung des Auferstandenen (vgl. Apg. 1,14; 12,12ff.) beteiligt. Nach dem Tode Jesu verwendeten Frauen das Motiv von der Begegnung des Engels mit Maria der Mutter Jesu zur Gestaltung seiner Vorgeschichte. Lukas war der einzige, der sie in sein Evangelium aufgenommen hatte.
5.3. Vom Schatten Jahwes
Der Deuteronomist, der nach der Zerstörung des 1. Jerusalemer Tempels (584 v. Chr.) als Theologe und Schriftsteller wirkte, benutzte die oben erwähnten Segenssprüche dazu, seine eigene, patriarchale Theologie einzubringen. Er setzt den Text unter das moralische Raster Jahwes:
Jahwe wird dich zu einem heiligen Volke für sich machen, wie er dir geschworen hat, wenn du die Gebote Jahwes, deines Gottes, hältst und in seinen Wegen wandelst. Dann werden alle Völker der Erde sehen, dass du nach dem Namen Jahwes genannt bist, und werden sich vor dir fürchten. (Dt. 28,9f.)
Die Forderung Gottes an das Volk Israel, auf dem Wege Jahwes zu wandeln, hat Grösse und Macht zum Ziel, Grösse und Macht Jahwes, die er ohne das Volk Israel für sich nicht verwirklichen kann.
Die an sich wahrhaft heilspendenden Segenssprüche sind eingebettet im destruktiven Aspekt Jahwes, eingebettet in Krieg und Zerstörung. Das ganze zerstörerische Gewicht Jahwes lastet auf dem Volkes, und dieses Wissen ist im tückischen Hintergedanken festgehalten, dass das Volk Israel die Gesetze gar nicht halten kann - gar nicht halten soll, weil sonst die archaische, nicht zu kontrollierende göttliche Wut Jahwes nicht mehr legitimiert werden kann. Die Irreführung durch Jahwe ist ein typisches Motiv und taucht in den alttestamentlichen Geschichtsbüchern immer wieder auf. Ein eispiel für die numinose Willkür Gottes ist die Erzählung von Volkszählung durch David. Jahwe hat David ausdrücklich zu dieser Volkszählung verführt::
Und der Zorn Jahwes entbrannte abermals gegen die Israeliten und er reizte David wider sie, indem er sprach: Geh hin, zähle Israel und Juda (2. Sam. 24,1)
David lässt auf Geheiss Jahwes das Volk zählen, was seinen Gott prompt veranlasst, gegen das Volk, nicht gegen David, mit Pest und Hungersnot loszuziehen.
In den Erzählungen der Plagen in Ägypten (2. Mose 7-11) ist es ebenfalls Jahwe, welcher das Herz des Pharaos verstockt, um ihn und sein Volk vernichten zu können.
Darnach sprach Jahwe zu Mose: Gehe zum Pharao; denn ich habe sein und seiner Leute Herz verstockt
(2. Mose 10,1)
Auch im Neuen Testament gedenkt Jesu dieses göttlichen Zuges:
"Und führe uns nicht in Versuchung"
(peirasmos; Mt. 6,13; Lk. 11,4).
Da Jahwe auch in den Segenssprüchen (V. Mose 27.28) genau weiss, dass das Volk seine Gebote nicht hält, genauer seiner Willkür nicht entfliehen kann, verflucht er es genüsslich:
Verflucht bist du in der Stadt und
verflucht auf dem Felde .... (Dt. 28,16)
Betrachten wir noch kurz V. Mose 2,26-37: Hier erzählt Mose, wie Jahwe Israel das Land, wo Milch und Honig fliesst, verheisst und sie dorthin bringt. Doch statt wie einst Abraham, sich weitgehend friedlich mit den Einheimischen zu arrangieren, wurde das Land hier grausam erobert und schamlos geplündert. Auf ausdrücklichem Geheiss Jahwes wurde an der Bevölkerung den Bann vollzogen, d.h. alle Menschen umgebracht - Heute nennt man das Völkermord! Die Verfluchung in den Segenssprüchen sollen zwar den Menschen zu gemeinschaftsförderndem Verhalten erziehen. Doch im jetzigen Kontext hat man das Gefühl, die Verbote suchen zwanghaft der Zerstörungswut Jahwes einen positiven Sinn abzugewinnen.
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Interpretation von Esther Keller
Text von 1985, letzte Revision im März 2013