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6. Nochmals III. Mose
6.1. Jahwe und die Lade
Nach III. Mose 16,2 erscheint Jahwe über dem Sühnedeckel. In dieser Erscheinung repräsentiert er den Archetyp des Grossen Vaters. Unter dem Sühnedeckel befindet sich die Bundeslade, das Symbol der Grossen Mutter. Die alljährliche einmalige Vereinigung dieser beiden Archetypen symbolisiert die Heilige Hochzeit, mit dem das Versöhnungsritual verbunden ist.
Einen Hinweis, dass Jahwe und Lade zusammengehören, gibt Jeremia:
Wenn ihr euch dann mehrt und fruchtbar werdet im Lande in jenen Tagen, spricht Jahwe, so wird man nicht mehr sagen: Die Lade des Bundes Jahwes! - Sie wird keinem mehr in den Sinn kommen, und man wird ihrer nicht mehr gedenken, man wird sie nicht vermissen, und man wird ihrer nicht mehr gedenken; man wird sie nicht vermissen und sie auch nicht wiederherstelle (Jeremia 3,16).
Hier ist die Lade als Lade des Bundes Jahwes für die Fruchtbarkeit zuständig.
Die Lade im Allerheiligsten wurde auch in antikjüdischen Schriften als weibliche Grüsse aufgefasst. So stiessen ihre Tragstangen wie Frauenbrüste durch den Vorhang, welcher das Allerheiligste vom Heiligtum trennt. Die Belege aus Strack-Billerbeck zu Römer 3,25:
Da stiessen die beiden Stangen an den der Längsseiten der Lade vom Allerheiligsten aus gegen den Vorhang zum Heiligtum. Die vorstossenden Stangen werden mit "Brüste einer Frau" interpretiert,
ist die Schlussfolgerung der beiden Autoren. Weiter fügen sie Zitate an, wie:
Die beiden Tragstangen der Lade standen aus der Lade so weit hervor, dass sie bis an den Vorhang (des Allerheiligsten) reichten; denn es heisst: Die (beiden) Standen waren lang (I. Könige 8,8. ..). Sie waren nicht nach aussen sichtbar (I. Könige 8,8). Sage also: Die Stangen waren so lang, dass sie bis an den Vorhang reichten, und sie drüngten den Vorhang (nach aussen hin) zurück, und so wurden sie vom Innern aus gesehen, und in Bezug auf sie findet sich in der Qabbala die Erklürung: Das Myrrhenbündlein ist mir mein Lieber, das zwischen meinen Brüsten ruht (HL 1,13)
Der Sinn dieses Zitats wird klar durch die Parallele Men 98 a. b:
"Die beiden Stangen drückten den Vorhang zurück und traten dadurch hervor, dass sie wie die beiden Brüste einer Frau erschienen". - Jahve also das Myrrhenbündlein, weil er auf der Bundeslade zwischen den Tragstangen thront, die im Vorhang wie zwei Frauenbrüste erscheinen. (Alle Stellen in Strack-Billerbeck zu Römer 3,25)
In dieser antikjüdischen Schrift wird Jahwe als Liebhaber der Lade betrachtet, ein weiteres Indiz der ursprünglich Heiligen Hochzeit (66).
Eine Notiz von Mircea Eliade (67) weist ebenfalls auf eine kultische Feier der Heiligen Hochzeit am Versöhnungstag hin. Er schreibt:
vor allem am Jom Kippur begaben sich die jungen Mädchen vor die Stadtgrenzen um zu tanzen und sich zu belustigen; bei dieser Gelegenheit wurden auch die Heiraten ins Werk gesetzt. Am gleichen Tage aber duldete man auch eine Menge von Ausschreitungen, die manchmal sogar orgiastische Formen annahmen und uns sehr wohl an die letzte Phase des akîtu erinnern können.
6.2. Hohepriester und Zelt
Im Alten Testament wird das Heilige Zelt an markanten Stellen von Mose und Aaron besucht. So heisst es etwa:
Hierauf gingen Mose und Aaron in das heilige Zelt hinein, und als sie wieder herauskamen, segneten sie das Volk. Da erschien die Herrlichkeit Jahwes dem ganzen Volke, und Feuer ging aus von Jahwe und verzehrte das Brandopfer und die Fettstücke auf dem Alter (III. Mose 9,23-24)
Was Mose und Aaron im Zelt machen, verrät uns der Text nicht (68). Auffällig ist die Herrlichkeit (Kaboth) Jahwes, die sich dem Volk zeigt. Kaboth hat eine Femininendung -oth. Nach II. Mose 40,34ff. wohnt die "Herrlichkeit Jahwes" im Zelt und nach IV. Mose 14,10 tritt sie aus dem Zelt. Wenn Kaboth vor dem Volk erscheint, wirkt sie wie eine selbständige Gottheit. In I. Samuel 4 wird die Herrlichkeit mit der Lade in verbindung gebracht. Es ist die Szene, wo die Frau Pinehas hch schwanger um ihren toten Mann trauert und um den Verlust der Lade. In ihrem Elend gebar sie den Sohn Ikaboth: "Die Herrlichkeit ist dahin von Israel, weil die Lade Gotten genommen war". Auch hier die typische Motive einer altorientalischen Göttin, einerseits ist sie eine Kriegsgöttin andererseits für die Fruchtbarkeit zuständig.
Könnte es sein, dass Mose und Aaron Jahwe und eine Göttin, die wir als Bundeslade kennen, vertreten? An einer anderen Stelle, (IV. Mose 12) gehen Mirjam und Aaron ins Zelt. In dieser Geschichte geht es darum, dass Mirjam und Aaron Mose vorwarfen, eine kuschitische Frau genommen zu haben. Jahwe hörte dies und forderte Mose, Aaron und Mirjam hinauszugehen zum Zelt der Begegnung. Doch nur Mirjam und Aaron traten vor Jahwe, dessen Wolkensäule stand am Eingang des Zelte. Jahwe machte nun seinerseits Aaron und Mirjam Vorwürfe und lobte Mose in den höchsten Tönen. Darauf wurde nur Mirjam von Jahwe mit Aussatz bestraft.
Die Gestalt Mose ist sekundär hinzugefügt (69) und die Forschung nimmat an, dass Aaron bereits in israelitischen Zeiten ein kultisches Amt innehatte (70). - Aber es ist nur eine Annahme. Wie der Name Aharon für den Hohepriester entstanden ist, weiss niemand. Nach den Ergebnissen der Aaronstudien von Heinrich Valentin kann die Gestalt Aharon nicht alt sein und wurde sekundär dem Mose zugeführt. Sein enges Verhältnis zur Bundeslade (Aaron) und die Ähnlichkeit der beiden Wörter deuten auf den gleichen Ursprung hin.
Bedenkt man, dass in vorexilischer und anfangs der exilischen Zeit Propheten wie Hosea, Jeremia oder Ezechiel gegen sexuelle Entgleisungen wetterten. Und genau diese orgiastischen Feiern sind in der exilischen und nachexilischen Zeit kein Thema mehr. Aber die Grundvorstellung, dass ein Paar vor das Zelt der Begegnung (IV. Mose 12) oder ohne weiteren Erläuterungen in das Zelt hineingehen (III. Mose 9) lassen auf eine Umdeutung diesen kultisch orgiastischen Feiern denken. Robert Eisler (71) zeigt anhand des Psalms 19, dass in Neumondsnächte Götterhochzeit und Eheschliessung stattfanden. Ein Fest, in dem sich Mond und Sonne vereinen wird auf der ganzen Welt gefeiert und auch bei den Semiten. Ein Nachhall ist der Baldachin, unter dem noch heute jüdische Hochzeiten abgehalten werden. In Psalm 9 soll der Vater des Bräutigams der Braut ein Zelt bauen. Dabei ist nach Robert Eisler die Braut die Sonne, der Bräutigam der Mond. Dass die Braut die Sonne ist deutet wiederum auf die Sonnengöttin von Aruna.
Als weiteres Beispiel ist die Notiz der zwei Söhne Aarons (III. Mose 10) zu erwähnen. Diese zwei jungen Männer sollen Jahwe ein ungehöriges Feueropfer dargebracht haben. Der Leser erfährt nicht, worin das ungehörige Feueropfer bestanden haben soll. Da aber Feuer Symbol sexueller Dynamik darstellt, das sowohl Leben erweckt als es auch zerstört, könnte das ungehörige Feueropfer auf den Fruchtbarkeitskult hinweisen, die die beiden betrieben haben . D.h. wie bei "Mose und Aaron" im ersten Beispiel und "Mirjam und Aaron" geht es hier nicht um zwei männliche Priester sondern um ein heterosexuelles Paar. Geschlechtliche Vereinigung zwischen Priester und einer Frau vor dem Zelt der Begegnung kennen wir aus I. Samuel 2: Hier horten die Söhne des Priesters Eli Fleisch und verkehrten mit den Frauen, die am Eingang des Zeltes der Begegnung ihren Dienst taten (V. 22), nämlich kultische Prostitution.
Mit dem Begriff Herrlichkeit wurde im 1. Jahrhundert v. Chr. die Weisheit Jahwes verknüpft. Im Buch „die Weisheit Salomos“ (72): wird geschrieben:
Sie ist ja ein Hauch der Kraft Gottes und ein reiner Ausfluss der
Herrlichkeitdes Allbeherrschers, deshalb kann keine Befleckung sie je berühren.
Denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichtes und
ein makelloser Spiegel des Wirkens Gottes und
ein Abbild seiner Güte.
Kraftvoll wirkend durchwaltet die Weisheit das All. Sie ist eingeweiht in Gottes Wissen und wählt seine Werke aus. Beisitzerin des Thrones Jahwes wird sie genannt . Sie ist edler Abkunft, da sie mit Gott zusammenlebt und der Herr des Alls sie liebt (73). Eines fällt auf: Die Weisheit ist eine schwer zu fassende Grösse, denn einerseits ist sie Abglanz und Abbild Gottes, d.h. Gott selbst, andererseits ist sie ein unabhängiges Wesen neben ihm.
6.3. "In seinem Blute"
Im Alten Testament wurde das Blut auf Befehl Jahwes ausnahmslos und unbedingt der Erde zurückerstattet (V. Mose 12,23ff.). Das zeremonielle Hinsprengen des Blutes vor die Deckplatte (III. Mose 16) war E. Roellenbleck zufolge eine Weiterentwicklung des älteren Brauches, wonach das Opferblut in die mütterliche Erdspalte abfloss:
Nimm von dem Blut des Stieres und streiche es mit dem Finger an die Hörner des Altars; alles (übrige) Blut aber schütte beim Altar auf die Erde (III. Mose 16,18)
Die Hörner auf dem Altar waren Kuhhörner. Darauf weist I. Samuel 6, aber auch der Befehl Jahwes an Mose in II. Mose 27,2, einen Altar mit Hörnern aus Akazienholz zu machen. Im Akazienbaum manifestiert sich die Göttin Al-Uzzah. Sieben Mal sprengt der Hohepriester Blut gegen den Sühnedeckel. Die Zahl Sieben war im Alten Orient eine heilige Zahl, die Zahl der Vollkommenheit. Da III. Mose 16 betont beduinische Tradition aufgreift, könnte die Sieben auch auf die sieben Plejaden hinweisen, auf die weiblichen Führerinnen, die nachts dem Clan den Weg wiesen.
Der Hohepriester sprengte das Blut an der Vorderseite der Lade (III. Mose 16,4,15). Denn die übersetzung von Quedäm in der Zürcher Bibel ist Vorderseite. Doch Quedäm heisst nicht nur Vorderseite sondern in erster Linie Osten. Der Hohepriester sprengte das Opferblut also auf die Ostseite des Sühnedeckels. Und die Ostseite gab den antikjüdischen Denkern Anlass zu Kommentaren. So ist aus Strack-Billerbeck zu Römer 3,25 zu entnehmen:
Die Blutsprengung geschah aber gegen die nach Osten liegende Längsseite der Kapporeth (Sühnedeckel), stand er dabei zwischen den Stangen, so folgt daraus wiederum, dass die Tragstangen senkrecht zur Längsachse der Lade lagen, mit anderen Worten: sie waren an den schmalen Seiten der Lade angebracht und hatten im Allerheiligsten die Richtung von Osten nach Westen.
Im Osten aber geht die Sonne auf und im Westen wird sie verschlungen. In III. Mose 16 ist also das typische Wiedergeburtsmotiv enthalten, das zur Grossen Mutter gehört.
Dies kennen wir auch von der altägyptischen Himmelsgöttin: Am Abend geht der Sonnengott Re in einer Umarmung in den Himmel, Nuth, ein. Mit seinem Nachtboot fährt er durch die von Geistern und Dämonen bedrohten Nacht, trifft auf Osiris, umarmt ihn, gibt gleichzeitig das Alte, Vergangene ab, um als das Neue, Zukünfte zu erscheinen. Am Morgen gebiert ihn die Himmelsgöttin als Horus, während Osiris im Dunkeln zurückbleibt.
Der Leib der Himmelsgöttin wird mit dem Sarg gleichgesetzt, in dem Osiris liegt und aus dem der Sonnengott Re wiedergeboren wird. Die Lade im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels erinnert an die Himmelsgöttin Nuth, welche mit dem Sarg des Osiris gleichgesetzt wird (74).
Julian Morgenstern (75) weist für den ersten Jerusalemer Tempel einen Sonnenkult nach: Am frühen Morgen des Neujahrstages sollen die Türen zum Allerheiligsten offen gestanden haben, und der erste Sonnenstrahl auf die im Verborgenen weilenden Gotteslade getroffen haben. Mit diesem Ereignis wurde auch der irdische Vertreter Gottes, der König von Judäa (neu) inthronisiert. Ein wichtiger Text für die Inthronisation ist Psalm 2:
Er sprach zu mir: "Ich nehme dich auf meinen Schoss. Ich selbst hab dich heute gezeugt.(Ps. 2,7 übersetzung von Hermann Gunkel, Psalmen)
Was hier mit "gezeugt" übersetzt wird, kann ebenso gut "ich habe dich geboren" heissen. Verräterisch ist auch "ich nehme dich auf meinen Schoss" - ein Satz, der eher zu einer Göttin passt. So sitzt im Alten Ägypten Horus auf dem Schoss der Isis.
Horus auf dem Schoss Isis
Othmar Keel (76) zitiert dazu I. Könige 5,17:
"Mit Krieg bedrüngten sie ihn (David) bis Jahwe sie ihm unter die Fusssohlen legte"
Im Bild stehen die Füsse Horus auf den Köpfen seiner Feinde. Diese Position garantiert ihm Isis, denn in einem religiösen Text ist zu entnehmen, dass Isis mit Zauberei Horus den Kampf gegen Seth gewinnen.
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Interpretation von Esther Keller
Text von 1985, letzte Revision im März 2013