1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 < » ¦ PDF
11. Die Entstehung des Heros
Miss Miller meldete sich vier Jahre nach dem Gedicht «das Lied von der Motte» wieder und beschreibt eine Szene, in der sie «nach einem Abend voller Verwirrung und Beklemmung» um halb Zwölf in der Nacht ins Bett ging. Trotz völliger Erschöpfung war sie zu nervös, um zu schlafen. In der Dunkelheit hatte sie das Gefühl, auf etwas zu warten. Sie entspannt sich, vor ihren Augen funkeln Lichter und plötzlich taucht kurz das Gesicht einer Sphinx auf (S. 216).
C. G. Jung bedauert, dass er nicht erfährt, was in diesen 4 Jahren (1898-1902) passiert war. Doch kann er diesem Schweigen auch eine positive Seite abgewinnen, denn so wird der Arzt nicht von den individuellen Bemerkungen der Patientin abgelenkt, sondern kann sich voll auf die vom Unbewussten aufsteigende Symbolik konzentrieren. In der passiven Haltung, der sich Miss Miller in besagter Nacht hingab, sieht er eine innere Geneigtheit, die Libido einem noch unsichtbaren geheimnisvollen Ziel in der Seele abfliessen zu lassen (S. 218). Dabei scheint die Patientin plötzlich von einem Objekt aus den Tiefen des Unbewussten angezogen zu werden. Miss Miller schreibt:
Ich hatte darauf den Eindruck, als ob irgeindeine Mitteilung mir unmittelbar bevorstünde. Es schien mir, also ob die Worte sich in mir wiederholten: «Rede, o Herr, denn deine Magd hört, öffne du selbst meine Ohren!» (S. 221)
Nach C. G. Jung lässt Miss Miller bewusst ihre Lebensenergie (Libido) nach innen richten (S. 221.224), und archetypische Bilder beleben, nämlich das eines Übermenschen, eines Heros, zu dem C. G. Jung schreibt:
Ein Übermensch, den Heros oder den Gott, eben die menschähnliche Wesenheit, die jene Ideen, Formen und Kräfte ausdrückt, welche die Seele (liebend) ergreifen und gestalten. (S. 223f.)
Die Ursache ihrer Bereitschaft, sich in die innerseelischen Tiefen sinken zu lassen, sieht er in einem «störenden Dritten» in der Aussenwelt,
den sie willentlich ablehnt. Sie verweigert die Liebe an ein äusseres Objekt, obwohl unsere Welt reich genug wäre, auch Miss Miller ein solches anzubieten (S. 218).
Er attestiert ihr deshalb eine Unfähigkeit zu lieben und hält fest: «sie will nicht!». Statt dessen lässt sie die Libido regressiv in die Seele zurücksinken.
Das ist leicht und verführerisch, denn der Libido ist eine gewisse Trägheit zu eigen. Es ist der Sog eines Archetyps, die das Bewusstsein in die Tiefe lockt. -
Aus heiterem Himmel erwähnt C. G. Jung jetzt den Archetyp der Grossen Mutter. Denn in der Regression wird die frühkindliche Zeit belebt und damit auch die Vorstellung vom Inzest
und das Bild der furchtbaren Mutter, das er in der Sphinx sieht, die Miss Miller kurz erwähnte. C. G. Jung schreibt über die Sphinx:
Ein rätselhaftes Geschöpf, das auch Rätselfragen stellt, wie die Sphinx des Ödipus und am Eingang seines Schicksals als eine symbolische Ankündigung des Unabwendbaren steht. Die Sphinx ist eine halb theriomorphe Darstellung derjenigen Mutter-Imago, die als die furchtbare Mutter bezeichnen kann, von der sich in der Mythologie noch reichliche Spuren findet. (S. 225)
Er hält demnach fest: Miss Miller ist unfähig, einer äusseren Person ihre Liebe zu schenken, weil der Archetyp der furchtbaren Mutter in Gestalt einer Sphinx ihre Lebensenergie (Libido) in die Tiefe zieht. Die Sphinx ist ein Mischwesen von Tier und Mensch, die auf die «tierische Triebhaftigkeit» weist (S. 226). Als Beispiel nimmt er die Geschichte von Ödipus, der aufgrund einer Verheissung seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet. - Doch wie kommt er bei Miss Miller auf den Ödipus-Komplex? Wieso Archetyp der Grossen Mutter? – Er selber verweist auf dieses Dilemma:
Man kann mir vorwerfen, dass nichts ausser dem Wort «Sphinx» die Anspielung auf die Sphinx des Ödipus rechtfertige (S. 225).
Seine Begründung: er habe keinerlei Hinweise auf Miss Millers Situation und so sehe er sich gezwungen:
Wir sind daher gezwungen – wenn wir uns überhaupt an ein Verständnis dieser Vision wagen wollen -, in vielleicht allzu kühner Weise uns an die völkergeschichtlichen Materalien zu wenden, unter der Voraussetzung, dass das Unbewusste seine Symbole heute noch ebenso präge wie in fernster Vergangenheit (S. 225).
Nach wortreicher Rechtfertigung sieht er dann doch das Problem, dass bei Miss Miller eher eine männliche Sphinx zu erwarten sei. Und bestätigt, dass es in Ägypten auch männliche Sphingen gab, hält aber in Klammern fest, dass die thebanische Sphinx unzweifelhaft weiblich sei (S. 229). Doch Miss Miller erwähnt nie eine thebanische Sphinx sondern nur eine «Sphinx in ägyptischer Aufmachung» (S. 590).
Als Resulat schreibt C. G. Jung:
Es müsste der Erwartung nach darum ein männliches Monstrum sein, weil bei einer Frau die Gefahr nicht zunächst von der Mutter, sondern vom Vater droht (S. 229).
Dann fährt er fort:
Nachdem nun Miss Miller sich wieder konzentriert hatte, entwickelten sich die Visionen weiter (S. 229). Plötzlich erscheint ein Aztek, …
Weshalb muss sich Miss Miller wieder konzentrieren? Sie liAhamgt ja reglos im Bett und wartet auf ein Ereignis?
11.1. Was schreibt Miss Miller?
Schauen wir im Anhang des Buches in den Text von Miss Miller (deutsche Übersetzung). Da leitet sie die Episode ein mit der Erklärung sie wolle die «Grenzphänomene» erklären:
die Grenzphänomene (borderland phenomena) – oder, wenn Sie lieber wollen, die Kompositionen des Gehirns im Dämmerzustand, (half-dream «état crepusculaire»] (S. 589)
die sie besonders interessieren, und die sie an «einem Fall» dokumentieren will. Bei diesen Grenzphänomenen geht es darum, die Geheimnisse aufzuhellen und den Aberglauben an die sogenannten «Geistern» zu zerstreuen und verweist dann ausdrücklich darauf hin, dass man, wenn man sich nicht der Wahrheit verpflichtet fühlt, die Geschichte nach Belieben ausschmücken könne:
Der in den Händen jemandes, der sich weniger um die genaue Wahrheit kümmern oder keine Bedenken verspüren würde, sich beliebige Ausschmückungen und Zutaten zu erlauben, zu irgendeinem phantastischen Roman hätte bieten können und sich mit den erfundenen Geschichten Ihrer Medien vergleichen liesse. (S. 589)
Miss Miller schreibt also für eine gewisse Öffentlichkeit und warnt diese davor, das eventuell nicht alles ganz wahr ist, was sie da auftischt. Das Ganze trägt sie wie den Forschungsbericht eines gewichtigen Psychiatrie-Professors vor. Dabei ist «der Fall», den sie hier beschreibt, sie selber! Zuerst gibt sie gewissenhaft Datum und Uhrzeit ihrer Beobachtung über die borderland phenomena an:
«Beobachtung vom 17. März 1902, 12:30 Uhr nachts» (S. 590)
Und dann die Situation des betreffenden Abends:
Nah einem Abend voller Verwirrung und Beklemmung ging ich um halb 12 ins Bett. Ich fühlte mich aufgeregt; unfähig, zu schlafen, trotz völliger Erschöpfung. Ich hatte den Eindruck, in einer empfangsbereiten Verfassung (receptive mood) zu sein.
Mehr ist nicht zu erfahren. Als erstes fällt das Datum auf: 17. März. Fasnacht ist da zwar schon vorbei, aber vielleicht hängt noch eine Maske in der Wohnung herum. - Google ich «Fasnacht, Amerika», erscheint das Bild eines Karneval-Umzuges aus dem Jahr 1875 im Internet. Zwar ist das nicht 1902, aber die Möglichkeit besteht, dass auch in diesem Jahr etwas Ägyptisches dargeboten wurde.
Fasnachtsumzug in Louisiana (1875)
Dann die Uhrzeit 00:30 h, also mitten in der Nacht. Eine Zeit, in der auch C. G. Jungs Libido rückläufig war. - Miss Miller lag da, in einer empfangsbereiten Verfassung (receptive mood) mitten in der Nacht - das ist ja nicht abwegig. Dabei wiederholt sich ein Satz in ihr ständig:
Rede, Herr, denn deine Dienerin hört.
Öffne du selbst meine Ohren!
C. G. Jung denkt bei dieser Aufforderung an den jungen Samuel aus der Bibel, der von Gott mehrmals gerufen wurde (I. Sam. 3). - Wieso Samuel? Für diese Situation wäre als Beispiel seine Mutter Hannah doch besser geeignet? Noch mehr die Magd Maria, die mit ihren Ohren dem Boten Gottes ganz genau zuhörte – und schwanger ward?
Es ist klar, dass Miss Miller sexuell erregt einen Mann erwartet, der ihre Ohren öffnen soll. Dieser zeigt sich dann auch, nicht als Engel sondern als Sphinx «in an Egyptian setting», was im Buch mit «in ägyptischer Aufmachung» übersetzt wird. Da erlaubt sich wohl jemand einen Scherz, sie in der Geisterstunde zu erschrecken, fuchtelt mit einer Lampe herum und als sie die Augen öffnet, sieht sie ins Gesicht einer Sphinx:
Der Kopf einer Sphinx erscheint plötzlich im Blickfeld, in ägyptischer Aufmachung; dann erlischt das.
The head of a sphinx suddenly appeared in the field of vision, in an Egyptian setting appeared,
only to disappear again immdiately after.
In diesem Augenblick rufen die Eltern. Was sie rufen, wird nicht gesagt, hat aber wohl mit dem Licht zu tun, das nun verlöscht. Dann beschreibt Miss Miller «Phase 2 des Falles»:
2. Phase: Plötzlich erscheint ein Azteke, vollständig klar in jedem Detail: die Hand offen mit gossen Fingern, profilierter Kopf, Rüstung, Kopfschmuck ähnlich dem Federschmuck der amerikanischen Indianer. (S. 590)
Ihre Erwähnung «2. Phase» signalisiert eine Zäsur vom vorherigen Ereignis. Was nach dem elterlichen Rufen passiert ist, wird nicht gesagt.
Auffallend ist der von ihr erwähnte Zeitunterschied: sie ging um 23:30 h ins Bett in «empfangsbereitem Zustand», schreibt dann eine Stunde später ihre «Beobachtungen über Grenzphänomene» auf. In den «beliebigen Ausschmückungen und Zutaten», wie es Miss Miller eingangs der Episode erwähnt hatte, taucht in der 2. Phase ein attraktiver Azteke auf mit offener Hand und grossen Fingern. Die Hand und die Finger sind auch C. G. Jung aufgefallen. Er schreibt:
Die Rolle der Hand in der Vision scheint wichtig zu sein. Ihre Haltung wird als «offen» und die Finger als «larges» (à larges doigts) angegeben. Es ist auffallend, dass es gerade die Hand ist, auf die ein deutlicher Akzent fällt. (S. 232)
Er kommt zum Schluss, dass «die Hand», «die Finger» mit Penis, Zeugen und Schöpferkraft assoziiert werden müsse (232f.).
Dann fährt Miss Miller mit ihren Erläuterungen fort:
Dann ein Gewimmel von Leuten. Pferde, eine Schlacht, der Anblick einer Traumstadt. Ein seltsamer Nadelbaum mit knorrigen Ästen, spitze Segel in einer Bucht mit pupurnem Wasser, eine steilabfallende Klippe. Gewirr von Lauten, wie Wa-ma-Wa-ma usw.
Wie in einem Stummfilm flimmert da ein chaotisches Durcheinander von Leuten und Pferden herum, mitten darin die knorrigen Äste eines seltsamen Nadelbaumes und spitze Segel in einer Bucht mit purpurnem Wasser. – Wohl eine symbolische Ausgestaltung eines nächtlichen Geschlechtsverkehrs. - Doch die nächtliche Stunde verlief für Miss Miller offenbar nicht wie gewünscht. Sie war frustriert, und so reitet in ihrer Fantasie ein Aztekenhäuptling einsam durch den Wald, enttäuscht von den jungen Frauen – wie sie von den jungen Männern -, die er kennengelernt hatte und erkennt, dass seine Seelenverwandte noch nicht geboren ist. Bis zu ihrer Geburt werden noch zehntausend Monde vergehen, sie wird viele Verehrer haben, aber keiner wird sie verstehen.
Es scheint, dass Miss Miller in jener Nacht innerlich verletzt zurückblieb, und so erzählt sie die rührseligen Szene, wonach ein Feind ihren Held mit einem Pfeil niederschiessen wollte. Doch der Azteke streckte ihm seine blosse Brust entgegen. Über so viel Heldenmut beeindruckt, verzog sich der Angreifer. – Ihr Held leidet und ruft in seiner Verzweiflung:
Es gibt nicht eine, unter ihnen allen die meine Seele erkannt hätte, nicht eine, die meine Gedanken hätte lesen können - weit entfernt; keine einzige fähig, mit mir die leuchtenden Gipfel zu suchen oder mit mir das übermenschliche Wort Liebe zu stammeln! (S. 591).
Darauf erscheint die Schwester Viper, die den Bruder Pferd und dann den Häuptling tötet. (S. 591)
Der Azteke ist der Animus von Miss Miller. Über ihn schreibt C. G. Jung:
Die Figur des Azteken ist bereits als «heroisch» gekennzeichnet. Sie stellt das männliche Ideal für die primitive Weiblichkeit unserer Verfasserin dar (S. 234).
Dann stellt C. G. Jung eine Verbindung vom Azteken zum italienischen Schiffsoffizier her, der in ihren Notizen sang- und klanglos verschwunden ist und meint, dem Matrosen fehle der Charme eines «demon lover»: Denn ein irdischer Mann kann die idealen Erwartungen einer Frau selten oder nie erfüllen. Und so bleibt die Sehnsucht einer Frau auch nach einer normalen und glücklichen Heirat bestehen, und die kann sich zu einer Neurose oder sogar Psychose entwickeln (S. 235). Zum Animus von Miss Miller hält er fest:
Der zwar oft bis zu pathologischer Intensität (steigert), welchen Zustand ich in späteren Arbeiten als «Animusbesessenheit» bezeichnet habe. Diese geistige Bestimmung spielte bei unserer Autorin persönlich keine geringe Rolle....(S. 233f.)
Doch, so wie C. G. Jung Miss Miller auf Brechen und Biegen seine Vorstellungen unterjubelt, geht es hier wohl eher um seinen entsprechenden Animus.
Nun sucht er seine Interpretationen nun durch den «amerikanischen Mutterkomplex» zu legitimieren:
Der Mutterkomplex ist in Amerika nämlich häufig und oft sehr ausgesprochen, wohl infolge des starken Vorherrschens des mütterlichen Einflusses in den Familien sowohl als der sozialen Stellung der Frau überhaupt. Die Tatsache, dass mehr als die Hälfte des amerikanischen Kapitals in weiblichen Händen ist, gibt in dieser Hinsicht zu denken. (S. 234)
Dieser Absatz wirkt abschätzig. Auch hat C. G. Jung offenbar noch nie etwas von den Gewaltexzessen im Wilden Westen gehört, wo «Väter mit heller Haut und hellen Haaren» – auch ohne greulichem Tantchen aus der Unterwelt –, Indianer erbarmungslos jagten und sich gegenseitig erschossen.
Steven Pinker (40) etwa schreibt über die amerikanischen Cowboys:
Das Leben eines Cowboys war ein Wechsel zwischen gefährlicher, zermürbender Arbeit und Zahltagsexzessen mit Trinken, Glücksspiel, Hurerei und Schlägerei. Dabei war die Mordrate hoch:
Ort | auf 100 000 Bewohner |
---|---|
Abilene in Kansas | 50 |
Dodge City | 100 |
Fort Griffin in Texas | 229 |
Wichita | 1500 |
Die Strafjustiz war unterfinanziert, unfähig und häufig korrupt. Dazu standen 1877 allein in Texas ungefähr 5000 Männer auf der Fahndungsliste (S. 164).
Oder die Anarchie unter den Bergarbeitern, Eisenbahnarbeitern, Holzfällern und Wanderarbeitern. Da lag die durchschnitte Mordrate 83 auf 100 000 Bewohner. Während der Zeit des Goldrauschen starben etwa in Benton «Wyoming» 24 000 Menschen, also fast jeder Vierte eines gewaltsamen Todes (S. 165). - Doch dann kamen die Frauen. Steven Pinker schreibt:
Dass es im Westen Nordamerikas irgendwann zahmer zuging, lag nicht nur an kaltschnäuzigen Sheriffs und Richtern, die Verbrecher hängen liessen,
sondern vor allem am Zustrom der Frauen…
Witwen, alte Jungfern und junge, alleinstehende Frauen suchten ihr Glück auf dem Heiratsmarkt, ermutigt wurden sie dabei sowohl von den einsamen Männern selbst als auch von Beamten und Geschäftsleuten,
die des Treibens in den Drecklöchern des Westens zunehmend überdrüssig waren. (S. 168)
Bordelle, Spielhallen wurden abgeschafft, Schlägereien verboten. Dafür Schulen, Kirchen und wohnbare Häuser gebaut und dafür gesorgt, dass Kinder in geordneten Verhältnissen aufwachsen. (S. 168) Dabei mussten die Männer als Väter ihre Verantwortung übernehmen nach dem Motto «cads versus dads» (Flegel kontra Papa) (S. 167). – Soviel zum «amerikanischen Mutterkomplex».
Miss Miller selber entwirft eine ideale Verbindung zwischen dem Aztekenhäuptling und der weissen, noch ungeborenen Frau, die durch das gemeinsame Leid verbunden sind:
Sie wird eine helle Haut und helle Haare haben. Sie wird den Schmerz kennen, noch bevor ihre Mutter sie zur Welt gebracht haben wird. Das Leid wird sie begleiten, auch sie wird suchen – und wird niemand finden, der sie verstünde (S. 591).
Oberflächlich ist es das Leiden, den passenden Partner noch nicht gefunden zu haben. Mit der Erwähnung des vorgeburtlichen Schmerzes greift sie auf die Christus-Symbolik. Es ist das kollektive Leid verursacht durch die machohaften Verherrlichung der Gewalt – «im Wesentlichen Zeitvertreib der Männer» (41). D.h. Miss Miller aktiviert hier den Gewalt-Aspekt des Grossen Vaters. Doch das ist jetzt das Letzte, was C. G. Jung interessiert.
C. G. Jung geht dann auf den Namen des Azteken Chi-wan-to-pel ein. Mit dem Namen verleiht die Autorin der Figur eine Persönlichkeit, eine Seele und hat Macht über sie. Chiwantopel erinnert Miss Miller an Popocatepetl aus ihrer Schulzeit, und C. G. Jung fragt sich, weshalb ausgerechnet dieser Name? Von «Pop», «popo» etc. kommt er auf die Wörter «Hintern» und «Koten» im Sinne von produzieren, etwa «ein Wägelchen mit zwei Ponys» (vgl. Sigmund Freud):
Die Entstehung von Chiwantopel aus Popocatepetl will also im Sinne der obigen Erklärung heissen: «ich mache, produziere, erfinde ihn». Es handelt sich um eine Art Menschenschöpfung oder Geburt auf infantilem Wege (S. 240).
Und verweist auf die Analphase, die nun regressiv belebt wird: Sie schafft den Azteken, in den Miss Miller ihre Emotionen legt. Beim Azteken ist ihr neben seinem Heldenmut und seinem Leid auch seine körperliche Unversehrtheit wichtig, wie er im Sterben betont.
In ihren Träumen werde ich zu ihr kommen, und sie wird verstehen: Ich habe meinen Leib unversehrt bewahrt.
Das heisst, sie dichtet ihrem Helden die leibliche Unversehrtheit an, die sie als unverheirateten Frau mit vielen Verehrern kompromittiert.
Viele Verehrer werden um sie werben wollen, aber keiner wird imstande sein, sie zu verstehen. Die Versuchung wird ihre Seele öfters befallen – doch wird sie nicht schwach werden … (S. 591)
Many a suitor will wish to pay court to her, but not one of them will know how to understand her. Temptation will often assail her soul, but she will not yield.
Sie, die viel später Geborene ist ihm trotz der vielen Verehrern und den Verführungen, die sie attackierten, in der Seele treu geblieben. «Der störende Dritte», wie es C. G. Jung oben erwähnt, sind die konktreten Verehrer, die ihr in der realen Welt nur Enttäuschung bringen. In ihrem Frust regrediert ihre Libido und belebt das kollektive Unbewusste, in der ihre Heldenfigur auftaucht.
Damit ist die Geschichte von Chi-wan-to-pel zu Ende. Sie fügt aber noch einen Absatz hinzu mit dem Titel «Bemerkungen und Erläuterungen». Darin versucht sie, die Gestalt ihrer Träume als Quintessenz ihres Forschung über «Grenzphänomene» darzustellen und zeigt, wie der Häuptling als Produkt alltäglicher Erinnerungen entstanden ist. – Aber geht es hier wirklich um den Azteken? Am Anfang der Episode schreibt sie, sie wolle beweisen, dass «Geistergestalten» dem Aberglauben entspringen. Beim Azteken ist aber eigentlich immer klar, dass er aus ihrer Phantasie gesponnen ist. Die eigentlich Geistergestalt ist «die Sphinx in ägyptischer Aufmachung». Doch in ihren letzten Erläuterungen ist kein Wort mehr über die Sphinx, den «Ohrenöffner» zu erfahren, auch nicht vom nächtlichen Geschehen, das doch hoch emotional begann. Auch kommen ihr jetzt verschiedene Namen in den Sinn, die zu Chiwantopel keinen Sinn ergeben. Sie schreibt:
Auch ihre Erläuterungen zum Azteken weisen auf diese Diskrepanz hin. So schreibt sie:
Zunächst zum Namen Chi-wan-to-pel: eines Tages kam mir in vollem Wachzustand plötzlich das Wort A-ha-ma-ra-ma in den Sinn, in assyrischem Rahmen, und ich brauchte ihn nur in Zusammenhang mit anderen, mir schon bekannten Namen wie Ahasuerus, Asurabama … zu bringen, um seine Herkunft zu erraten (S. 592).
«A-ha-ma-ra-ma, surrounded by an Assyrian decoration» passt doch eher zu «the head of a sphinx … in an Egyptian setting». Auf Ahamarama folgen noch zwei weitere Namen: Ahasuerus, Asurabama. Diese Namen sollen die Herkunft von Chiwantopel erraten. Sie weisen aber auf den Alten Orient, gehören wie die Sphinx also eher zur Bibel und zum hoch gebildeten Pfarrer, den sie so verehrt hat. Aus ihm hat sie jetzt wohl den Azteken entworfen. Filmreif wäre gewesen, wenn der Pfarrer in jener Nacht als Sphinx in ihrem Bett gelandet wäre. – Aber das wissen wir nicht.
Es ist auffällig, wie der Indianerhäuptling ganz am Schluss ihrer Schrift, nach all den Angaben europäischer Literatur aus ihr herausbricht, so völlig quer in der Landschaft. Heisst das, ihre Sehnsucht nach Europa und deren Kultur hat ihr auch nicht gegeben, was sie sich erhofft hat und so bringt aus der Tiefe ihrer Seele ein Uramerikaner hervor, weil die weissen Väter sie nicht verstehen?
11.2. Ahamarama
Der Name A-ha-ma-ra-ma ist nicht bekannt. Es dürfte sich aber um einen altorientalischen Männernamen handeln, der gut zur Sphinx passt, die Miss Miller in der Nacht erscheint. C. G. Jung denkt aber an Anah und Aholibama:
welche eben jene Kainstöchter mit der sündigen Leidenschaft zu den Gottessöhnen sind. Diese Möglichkeit weist auf Chi-wan-to-pel als den ersehnten Gottessohn hin. (S. 241).
Dazu fragt sich C. G. Jung:
Dachte Byron vielleicht an die beiden hurerischen Schwestern Ohola und Oholiba?
C. G. Jungs interpretiert Anah und Aholibama als die in sündiger Leidenschaft zu den Göttersöhnen verfallenen Schwestern. Bloss Lord Byron selber denkt überhaupt nicht an sündige Mädchen, sondern kritisiert das Patriarchat (42). Ihm geht es nicht um eine abartige Beziehung der Schwestern zu den Engeln, sondern um eine weit grössere Sünde: Sie sind die Enkelinnen ihres Grossvaters Kain und müssen für dessen Mord an Abel sühnen! – Eine absurde Vorstellung mögen Sie denken! – Genau das will Lord Byrion sagen! Auch all die Leute, die in der Flut umkommen, sind harmlose Bürgerinnen und Bürger, etwa die Frau, die sich am Morgen über die Natur freut und in Jubel ausbricht. Doch im Laufe des Tages ist diese Natur zerstört.
Mit Anah und Aholibama zitiert C. G. Jung die Ängste (43) der beiden Mädchen, die sich im Laufe des Stücks auflösen. Er bedient sich da patriarchaler Klischeevorstellungen, um seine These vom minderwertigen, hurerischen Weibe zu stützen. Was mich bei C. G. Jung wundert ist, dass er zwar die enge Beziehung von Ana und Aholibmah zu den Engel Samiasa und Azaziel kritisiert, aber kein Wort verliert über die enge Beziehung von Noah zu Gott! Lord Byron seinerseits kritisiert den Noah als selbstgerechten und erbarmungslosen Menschen, oder die Göttersöhne als selbstverliebter Schwulenclub, zerfressen von Intrigen und Machtspiele. Es kommt dann heraus, dass Engel, die anwidert von diesem Verein waren, den Himmel verliessen, um den Menschen Wissen und Fertigkeiten zu bringen. Gott selber taucht im Stück gar nicht auf, er scheint Projektionsfläche der jeweiligen Person zu sein. So sieht die erwähnte Frau in der Natur das göttliche Walten, und die Engel Samiasa und Azaziel weisen darauf hin, dass Gott selber, wie sie, in Liebe auf der Erde gewandelt war. Andere, darunter Noah erkennen in der Naturkatastrophe das Strafgericht Gottes.
C. G. Jung assoziiert Ana und Aholibama mit den biblischen Gestalten Ohola und Oholiba (44), die als hurende Weiber daherkommen. – Doch Ohola und Oholiba sind keine konkreten Frauen sondern Symbole biblischer Hauptstädte. Ezechiel 23 beschreibt einen Geschichtsrückblick, bei dem der Prophet das ewige Taktieren der Könige von Israel und Juda mit Assur, Ägypten und Babylon, kritisiert. Es sind also Entscheidungen von Männern in der Metapher einer hurenden Frau! Über den Geisteszustand eine Propheten Ezechiels macht sich C. G. Jung keine Gedanken. Im Gegenteil, er greift dessen Symbolik auf, um die Psychologie einer «schuldhaften» Frau zu analysieren. Er ist also ein Geistesverwandter des Propheten.
11.3. Ahasuerus
Der zweite Namen, den Miss Miller zu Chi-wan-to-pel erwähnt, verbindet C. G. Jung mit «dem ewigen Juden». Aus Wikipedia erfahre ich, dass Ahasverus in der christlichen Volkssage der «ewige Jude» ist (45). C. G. Jung schreibt:
Ahasver ist bekanntlich der ewige Jude. Sein Charakteristikum ist das endlose und ruhelose Wandern bis zum Weltuntergang. Die Tatsache, dass der Autorin gerade dieser Name eingefallen ist, berechtigt uns, dieser Spur zu folgen (S. 242).
Dass Miss Miller diesen Namen mit dem «ewiger Juden» verbindet, bezweifle ich stark. Denn woher soll sie diese Gestalt kennen? Als fleissige Kirchengängerin ist ihr doch wohl eher der altpersische König Xerxes in den Sinn gekommen, der im Buche Ester Ahasuerus («König aller Männer») genannt wird:
Now it came to pass in the days of Ahasuerus, (this is Ahasuerus which reigned, from India even unto Ethiopia, over an hundred and seven and twenty provinces (Ester 1,1).
(King James Version)
Im Buch Ester wird Ahasuerus als mächtiger, aber labiler König dargestellt, am Gängelband der Königin Ester. Sie selber ist die folgsame Ziehtochter ihres Onkels Mardochai, der alle Fäden in den Händen hält und mit allen Mitteln, seine Gegner zu töten sucht. König Ahasuerus unterschreibt willig die Anträge zu Hinrichtungen, die ihm Ester zuspielt (Ester 7). Dabei fragt er sie noch nach ihren weiteren Wünschen. Flavius Josephus, der die biblische Geschichte nacherzählt, schildert die Szene wie folgt:
ob sie sonst noch etwas wünsche, weil das sofort ausgeführt werden solle.
Ester bat ihn darauf, er möge den Juden gestatten, auch noch am folgenden Tag ihre Feinde umzubringen und die zehn Söhne Amans ans Kreuz zu schlagen.
Der Pogrom unter der Bevölkerung konnte stattfinden: Hier fünfhunder Tote, dort fünfundsiebzigtausend. Nach dem Morden wurde ein grosses Freudenfest begangen. (XI Buch, 16,289ff.) (46)
C. G. Jung verfolgt hingegen die Spur des «ewigen Juden». Dieser ist der ruhelose Wanderer und zieh bis zum Weltuntergang umher (S. 242). Zu ihm kommt C. G. Jung andere Gestalten aus den verschiedenen Religionen in den Sinn, die nach dem ewigen Leben trachten (Gilgameš) oder es erlangten (al Chadir, Elias, Mose, Christus).
11.4. Asurabama
Der dritte Name, den Miss Miller erwähnt, ist Asurabama (who made cuneiform bricks), dabei kommt der assyrische König Assurbanipal in Frage, den man hinter Esra 4,12 (Asenappar) vermutet. Er ist als Gelehrter bekannt und liess in Ninive eine grosse Bibliothek errichten (47). In seinen berühmten Annalen (48) auf Keilschrifttafeln schildert er seine Eroberungszüge und Strafexpeditionen, wobei er sich der Hilfe der Götter, vorab dem Gott Assur und der Göttin Ištar, gewiss war. Die Freinde bestrafte er je nach Gutdünken oder verschonte sie.
Die
assyrischen Reiche, aus «belwissenschaft.de»
Etwa die Araber (Col. IX) liess er verdursten, indem er Wasserquellen von seinen Leuten bewachen liess. Dann brachte er den König von Aribi (Arabien), Uaite nach Niniveh und bestrafte ihn wie folgt:
Unter Erhebung meiner Hände, die ich zur Besiegung meiner Feinde empfangen hatte, durchbohrte ich auf Befehl Assurs und der Ninlil mit meinem scheidenden Handmesser seine Kinnbacken, durch den Kiefer seines Antlitzes zog ich einen Strick, legte ihm eine Hundekette an und liess ihn am Osttore in Niniveh, …, den Käfig bewachen.
Offenbar war seine Züchtigung nicht ganz im Sinne der Götterw/m:
Um der Erhabenheit Assurs und der Ištar und der grossen Götter, meiner Herren, meine Ehrfurcht zu zollen, erbarme ich mich seiner und liess ihn am Leben.
Miss Miller benennt mit den drei Namen also mächtige Könige, die mit ihren Kriegszügen grosses Leid verursachten.
11.5. Der ewige Jude
Wenn C. G. Jung davon ausgeht, dass Miss Miller das kollektive Unbewusste belebt, dann ist es der Archetyp des Grossen Vaters, genauer dessen negativen Aspekt, den C. G. Jung selber als «männliches Monstrum» (S. 229) bezeichnet hat. Doch Männer mit «Monstrum» in Verbindung zu bringen, ist ihm dann doch zu unsympathisch. Er hackt lieber auf minderwertigen, hurenden Weiber herum und glorifiziert männliche Gestalten, wie er sie hier im Zuge des «ewigen Juden» entfaltet: Al Chasidr, Mose, Elias, den er mit Christus gleichsetzt (S. 242ff.). Mose und Elias kennt man ja als blutrünstige Jahweverehrer. So erzählt Mose voller Stolz etwa:
Und damals eroberten wir all seine Städte und weihten jede Stadt der Vernichtung, die Männer, die Frauen und die Kinder, niemanden liessen wir überleben. Nur das Vieh behielten wir für uns als Beute und das Raubgut aus den Städten, die wir eingenommen hatten. (Dt. 2.34f)
Solche Szenen sind in den Büchern Mose überall zu finden, ist also Dauerzustand. Der grosse Prophet Elias seinerseits soll 950 Baal- und Ascherapropheten ermordet haben (I. Kön 18). C. G. Jung vergleicht Elias mit Christus. Das ist mir schleierhaft, zumal dieser das Leid der Menschen auf sich genommen habe. Dann kommt C. G. Jung auf Petrus zu sprechen:
Petrus hat durch sein Attribut, den Hahn einen solaren Charakter.
Nach der Himmelfahrt Christ ist er der sichtbare Statthalter der Gottheit, er erleidet daher den gleichen Tod (Kreuzigung) wie Christus, ersetzt den Hauptgott des römischen Imperiums, den sol invictus, und wird zum Haupt der Ecclesia «militans et triumphans»; in der Malchusszene schon erweist er sich als der miles Christi (ek: Soldat Christi), dem das Schwert verliehen wird. (S. 247f.)
Die Kreuzigung Petri ist historisch nicht belegt und gehört eher zur apostolischen Propaganda. Petrus als Sonnengestalt verklärt nimmt die Stelle der kriegerischen und mordenden Cäsaren ein. Seine Nachfolger tragen dann die dreifache Krone:
Die Krone aber ist ein Sonnenattribut, und so ist der Papst ein symbolischer «solis invicti comes» wie ein römischer Caesar (S. 248).
11.6. Tod und Wiedergeburt
C. G. Jung kommt im Zusammenhang mit den religiösen Gestalten wie Al-Chidr, Mose, Josua und Elias auf das ewige Leben zu sprechen, auf sichtbare und unsichtbare Existenzen, auf die Sonne, die auf ihrer Bahn sichtbar auf dem höchsten Berg erscheint und unsichtbar durch die Tiefen des Meeres wandert. Diesen Sonnenlauf vergleicht er mit dem Symbol des Ziegenfisches:
Die Sonne steigt wie eine Ziege auf die höchsten Berge und ist in der Tiefe des Meeres wie ein Fisch.
Der Fisch repräsentiert die Sonne aber auch das ungeborene Kind, das im Fruchtwasser schwimmt. Der Fisch ist ein Symbol der Erneuerung und Wiedergeburt: So steigt die Sonne als Symbol des wiedergeborenen Menschen, aus der Dunkelheit des Meeres, aus dem Schrecken der Nacht und des Todes zum leuchtenden, feurigen Tagesgestirn auf. In diesem Sinne ist auch die christliche Taufe zu verstehen, und er zitiert Johannes den Täufer:
Ich taufe euch mit Wasser zur Busse, der aber nach mir kommt, ist stärker denn ich… Er wird euch mit heiligem Geist und mit Feuer taufen. (S. 250)
C. G. Jung fügt weitere Gestalten an, die die uns die unfassbare Unsterblichkeit der Götter zeigen soll:
Der Sonnenvergleich belehrt uns immer wieder, dass die Dynamik der Götter seelische Energie ist; sie ist unser Unsterbliches, indem sie jenes Band darstellt, durch welches sich der Mensch als nie erlöschend in der Kontinuität des Lebens fühlt. (S. 254)
Es ist die Lebensenergie, die in phallischen Symbolen ausgedrückt werden. Als interessantes Beispiel nimmt er das Bildnis eines androgynen Gottes (Göttin Venus):
Félix Lajard, Recherches sur le culte, les symboles, les attributs et les monuments figurés de Vénusen Orient et en Occident
S. 13
Auf der männlichen Seite befindet sich eine Schlange mit einem Sonnenhalo um den Kopf, auf der weiblichen Seite … eine Schlange, mit dem Mond über dem Kopfe.
… Auf der männlichen Seite befindet sich eine Raute, ein beliebtes Symbol des weiblichen Genitale, auf der weiblichen Seite befindet sich ein Rad ohne Felgen. … am peripiphren Ende kolbig verdickt, was …. phallische Bedeutung hat(S. 255f.)
C. G. Jung greift dann wieder das Motiv des Hahnes als Sonnensymbol auf und erinnert an verschiedene Gestalten mit diesem Begleittier etwa an Cautopates, den Fackelträger Mithras oder an den Gott Men, der in der Antike mit Attis verschmolz. Attis war der Sohngeliebte der Grossen Mutter Kybele, der von ihr in Raserei versetzt wurde und sich entmannte. Es ist ein typisches Inzestmotiv:
Da der Inzest unter allen Umständen vermieden erden muss, so ergibt sich zwangsläufig entweder der Tod des Sohngeliebten oder dessen Selbstkastration als Strafe für den vollzogenen Inzest, oder …. Als vorbeugende oder sühnende Massnahme gegen die Inzestneigung (S. 258).
Cautes und Cautopates
Carole Raddato (08.09.2012), aus wikimedia.org
Was hat jetzt das wieder mit einer jungen Frau, mit Miss Miller zu tun? Bei seinen Erläuterungen frage ich mich, ahnt er das, das ich denke! Den Inzest nicht mit der Mutter – klar nicht, aber der Nachstellung ihres Vaters. Jedenfalls schweigt Miss Miller beim Marineoffizier, beim überaus gebildeten Pfarrer, bei der Sphinx und vor allem bei ihrem Vater. Er kommt überhaupt nicht vor. Auch wie sie die nächtliche Szene beschreibt:
Beklemmung - Nacht – Ohren, die der Herr öffnen soll – Sphinx in ägyptischer Aufmachung – Rufen der Eltern – Phase 2.
Da stimmt doch etwas nicht! Man kann nur spekulieren. Miss Miller überträgt ihre Emotionen dann auf den Aszteken, eine Animusfigur, um nicht selber in Misskredit zu kommen. Insofern erscheint das
«borderland phenomena, …. der in den Händen jemandes, der sich weniger um die genaue Wahrheit kümmern oder keine Bedenken verspüren würde, sich beliebige Ausschmückungen und Zutaten zu erlauben, (S. 589)
das sie eingangs erwähnt hat als Hilferuf. C. G. Jung nimmt ihre psychische Situation auf und entfaltet sie nach seinem Gusto von der furchtbaren Mutter und ihrem Sohngeliebten. – Das nennt man dann Psychoanalyse.
Literaturhinweis
- Steven Pinker, «Gewalt – eine neue Geschichte der Menschheit»
- Steven Pinker, «Gewalt – eine neue Geschichte der Menschheit», Seite 18
- Vgl. «Kommentar zu Symbole der Wandlung», Teil 5-7
- Lord Byron «Himmel und Erde» übersetzt von Otto Gildemeister, aus books.google.ch, im Anhang des Buches «Symbole der Wandlung»
- Morton Smith «Religiöse Parteien bei den Israeliten» in Bernhard Lang (Hrsg.) «Der einzige Gott – die Geburt des biblischen Monotheismus», 1981, S. 33f.
- «Ahasveros», Wikipedia, 09.03.2022
- Flavius Josephus, «Jüdische Altertümer», S. 528f.
- «Ninive» in «bibelwissenschaft.de», Januar 2007
- «Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige», II. Teil, I. «Die Annalen», bearbeitet von Maximilian Streck
Text und Design: Esther Keller-Stocker, 03.05.2022