6.4. Riten zum ‘Feuer reiben’
Das Thema historische Spuren im Unbewussten führt C. G. Jung zum «Feuer machen». Er schreibt: Die Fähigkeit Feuer zu machen ist eine der frühesten und revolutionärsten Taten des Menschen. «Feuer entfachen» entsteht durch Reiben und Bohren zweier Hölzer. Ähnlich wie im Beispiel der Aborigines entfachte der Frühmensch im Ritus Feuer statt sich der sexuellen Erregung hinzugeben. Eine Bestätigung findet er im indischen Rigveda: Da ist von einem harten Holz die Rede, das sich in ein weiches Holz bohrt. Das harte Reibholz wird Pramantha (Pra-manth-a) genannt. Es wird sexuell aufgefasst, als Phallus und Mann. Dies weist auf die verweigerte Sexualität im Feuerritus hin. So ist das unten liegende Holz die Vulva oder das Weib, das erbohrte Feuer das Kind, der göttliche Sohn Agni. Das harte Holz (Pramantha) wird Purûravas genannt, das weiche Urvaçi. Das Kind, d.h. der Feuergott Agni erhält den Beinamen Mâtariçvan «der in der Mutter Schwellende». Zum Akt der Feuererzeugung verweist C.G. Jung auf ein Lied des Rigveda (III, 29, 1-3):
Agni, 18. Jh. aus wikimedia.org
Das ist das Drehholz, der Zeuger (Penis) ist bereitet,
bringt die Herrin des Stammes herbei,
den Agni lasst uns quirlen nach altem Brauch.
In den beiden Hölzern liegt der Jâtavedas,
wie in den Schwangeren die wohlbewahrte Leibesfrucht;
tagtäglich ist Agni zu preisen
von den sorgsamen, opfernden Menschen.
In die Dahingestreckte lass hinein (den Stab),
der du des kundig bist;
sogleich empfängt sie, hat den Befruchtenden geboren;
mit rötlicher Spitze, leuchtend seine Bahn,
ward der Ilâsohn in dem treffendem Holz geboren .
Hier ist der Penis (indisch Pramantha) zugleich der indische Feuergott Agni, der erzeugte Sohn: der Phallus ist der Sohn und der Sohn ist der Phallus». Zu «Penis» und «Sohn» erklärt C. G. Jung weiter:
Auch in der heutigen deutschen Sprache haben wir Anklänge an die alten Symbole bewahrt: Ein Junge wird als «Bengel» bezeichnet, im Hessischen als «Stift» oder «Bolzen» . (S. 190)
Interessant ist auch die Anmerkung C. G. Jungs im Zusammenhang der beiden deutschen Wörter «bohren» und «geboren»:
Das germanische borôn ist urverwandt mit lat. forare und gr. Pharao = pflügen. Es wird eine idg. Wurzel bher mit der Bedeutung tragen vermutet, sanks. Bhar, gr. Pher, lat. fer-; daraus althd beran = gebären, engl. To bear, lat. fero und fertilis, fordus (trächtig), gr. Phoros (id.) (S. 190) .
‘Urvashi und Pururavas’,
gemalt von Raja Ravi Varma, aus wikimedia.org
C. G. Jung schwelgt hier in seiner phallisch-patriarchalen Ideologie. Dies fängt mit der psychisch kranken Frau an, die sich ohne jede Besinnung an der Stirne bohrt. Von da leitet C. G. Jung über zum «Feuer reiben/bohren» als revolutionäre Erfindungen des Menschen, genauer als «revolutionäre Leistung der Männer», wie er es zwar nicht direkt sagt, aber in der folgenden Erläuterung liegt der Fokus seiner Betrachtungen auf FEUER, PENIS, MANN, SOHN UND AGNI. Der Purûravas ist das OBEN befindliche harte Holz, das darunter liegende weichen Holz das Weib Urvaçi. – Die Frau und das weiche Holz unten machen dabei einen sichtlich abwertenden Eindruck. Doch zu diesem Paar gibt es in der indischen Literatur auch eine Geschichte: Da verbindet sich die himmlische Frau Urvaçi mit dem irdischen Mann Purûravas und bleibt so lange bei ihm, bis sie genug hatte. Dann verlässt sie ihn und fliegt davon.
Im Vergleich zu C. G. Jung hat der Religionswissenschaftler Mircea Eliade in seinem Buch «Schmiede und Alchemisten» zum gleichen Thema einen anderen Blickwinkel. Er schreibt:
In Indien der Vedazeit wurde der Opferaltar (vedi) als «weiblich», das rituelle Feuer (agni) als «männlich» angesehen – und «ihre Vereinigung erzeugte die Nachkommenschaft». …. einerseits wurde die vedi mit dem Nabel (nâbhi) der Erde verglichen, der recht eigentlich das Symbol des «Mittelpunktes» ist. Die nâbhi wurde aber auch als die Matrix der Göttin angesehen.
Andererseits wurde das Feuer selbst als Folge – als die «Nachkommenschaft» - einer sexuellen Vereinigung betrachtet. Es entstand aus dem Hin- und Herbewegen (Vergleich mit der Kopulation) eines Stabes (der das männliche Element darstellt) in einem Einschnitt, der in ein Stück Holz (weibliches Element) gemacht worden war (Rig. Veda, III, 29,2ff.; V, II, 6; VI 48,5). (S. 43).
Zum «Feuer» schreibt Mircea Eliade weiter:
Den Mythen gewisser archaischer Völker zufolge besassen die Ahnfrauen «von Natur» das Feuer in ihren Geschlechtsorganen; sie nutzten es, um ihre Nahrung zu kochen, verbargen es aber vor den Männern. Denen gelang es jedoch, sich seiner durch List zu bemächtigen. Diese Mythen widerspiegeln Erinnerungen an eine matriarchalische Ideologie, wie auch die Tatsache, dass man glaubte, das Feuer, durch Aneiananderreiben zweier Holzstücke, das heisst durch deren «sexuelle Vereinigung» erzeugt, befinde sich «von Natur» in jenem Holzstück, welches das Weibliche darstellte. Dank dieser Symbolik ist die Frau auf dieser Kulturstufe «von Natur» Zauberin. Den Männern gelang es aber, das Feuer zu «meistern», und schliesslich wurden die Zauberer mächtiger und zahlreicher als die Zauberinnen. (S. 84)
Für die weiteren Erläuterungen folgt C. G. Jung Adalbert Kuhn, «Die Herabkunft des Feuers und des Göttertrankes (1886) und K. Bapp «Prometheus» in Roscher-Lexikon (1890-1897). Dabei geht es um eine Diskussion, bei der Adalbert Kuhn annahm, dass ein sprachlicher Zusammenhang zwischen dem indischen Pramantha (hartes Reibholz) und dem griechischen Gott Prometheus (Pro-meth-eus) besteht. Dies wird jedoch von K. Bapp bestritten.
C. G. Jung schreibt: die Wurzel von manthâmi ist «manth» oder «math» und bedeutet «schütteln, reiben, durch Reiben hervorbringen». A. Kuhn setzt das indische Verb manthâmi mit dem Griechischen μανθάνω gleich, was «lernen» heisst. «Lernen» im Sinne von «im Geiste hin- und herbewegen». Die Wurzel manth oder math führt von μανθάνω über προ-μηθἑομαι auf den Gott Προμηθεύς (Prometheus), der das Feuer für die Menschheit vom Himmel herunterholte. Er war auch der Vordenker und Kulturbringer .
Maharishi Bhrighuji, frühes 18. Jh., Foto: Ranjit Studios, aus wikimedia.org
Dann weist C. G. Jung auf den indischen Seher und Priester Bhrgu ( Brighu), dessen Name in der Wortwurzel Bahr («bohren, geboren») enthalten ist. Der Priester Bhrgu (Brighu) entstand wie der Feuergott Agni-Mâtariçvan aus dem Feuer:
In der Flamme entstand Bhrgu, Bhrgu geröstet, verbrannte nicht. (unbekanntes Zitat, S. 186f.)
Von Bhrgu gibt es das verwandtes Wort «bhrây», das «leuchten», lat. «fulgeo», griech. «φλεγω» bedeutet. Demnach müsse Bhrgu als «der Leuchtende» zu verstehen sein. Zu «φλεγω» meint er: Prometheus gehört nach einer lokalen Tradition zum Stamm der Phlegyer. C. G. Jung assoziiert φλεγω mit dem Wort «φλεγύας», dem Adler aus brandgelber Farbe und kommt zum Schluss, dass die Phlegyer «die Feueradler» gewesen seien. Vom phrygischen Feueradler «φλεγύας» sieht C. G. Jung eine Beziehung zu pramantha, also zum harten Holz, das auf das weiche Holz reibend Feuer den indischen Feuergott Agni-Mâtariçvan «der in der Mutter Schwellende» zeugt. Er schreibt, dass es hier, wenn nicht sprachlich, dann doch eine archetypische Parallele gibt. (S. 187).